Samstag, 23. Dezember 2023

23.Stern Feministische Außenpolitik und Friedensforschung

Komplett kopiert aus

fr. de Frankfurter Rundschau vom 22.12.23
Ein tolles Interview
Danke
Auch das ist Weihnachten


Friedensforscherin Lydia Both: „Auch Israel muss sich an Menschenrechte halten“

Von: Bascha Mika

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Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit ihrem israelischen Amtskollegen Eli Cohen am 13. Oktober in Netifot.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit ihrem israelischen Amtskollegen Eli Cohen am 13. Oktober in Netifot. © Imago

Lydia Both über die Frage, ob eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik Lösungsansätze im Nahost-Konflikt bieten kann.

Frau Both, was hat Feminismus mit Außenpolitik zu tun? 

Auf den ersten Blick scheinen die beiden Ansätze unvereinbar. Feminismus will Machtstrukturen ändern und eine gleichberechtigte Gesellschaft ermöglichen. Außenpolitik verteidigt Macht und Machträume. Wenn man allerdings Außenpolitik anders gestalten und von der Machtpolitik wegkommen will, gibt der Feminismus dazu viele Impulse.

Patriarchale Außen- und Sicherheitspolitik beruht auf Dominanz, Zerstörung und Gewalt. Und feministische? 

Am besten lässt sich das anhand der drei Rs beschreiben, dem Kern feministischer Außen- und Sicherheitspolitik. Es geht darum, Rechte, Ressourcen und Repräsentation von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen zu fördern. Das bedeutet, Menschenrechte und menschliche Sicherheit in den Vordergrund zu stellen, nach politischen statt militärischen Lösungen zu suchen und Frauen an Friedensprozessen zu beteiligen.

Ist kriegerische Gewalt ein konstitutiver Bestandteil des Patriarchats? 

Das Patriarchat lebt von der Dominanz einer Gruppe. Diese Vorherrschaft lässt sich nur mit Gewalt in ihrer unterschiedlichsten Form aufrechterhalten. Kriegerische Aggression gehört dazu.

Wie kann feministische Außenpolitik zu Realpolitik werden – angesichts des Massakers der Hamas, den Angriffen Israels in Gaza und der humanitären Katastrophe der palästinensischen Bevölkerung? 

Der 7. Oktober bedeutet eine tiefe Zäsur für die Region und den jahrzehntelangen Konflikt. Dafür gibt es keine schablonenhafte Lösung. Allerdings hat das Konzept einer feministischen Außenpolitik einige Leitlinien an der Hand. Zunächst, wie gesagt, dass nach politischen Lösungen gesucht werden muss. Natürlich gibt es nach den unsäglichen Verbrechen der Hamas das Recht Israels auf Selbstverteidigung. Dennoch muss sich auch Israel an Rechte halten – an die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht. Was bedeutet, dass die Differenz zwischen Kombattanten und Zivilist:innen nicht verwischt werden darf...

...was in Gaza seit Wochen passiert, wenn Israel einen der am dichtesten besiedelten Landstriche der Welt massiv bombardiert. 

Ein weiterer Ansatzpunkt für feministische Außenpolitik ist die Frage nach dem Danach. Welche langfristigen politischen Lösungen gibt es für die Region? Wer muss daran beteiligt sein, damit diese zukunftsfähig sind? Alle Untersuchungen zeigen, dass solche Prozesse erfolgreicher verlaufen, wenn Frauen daran beteiligt sind und ein Mitspracherecht haben. Und dass ein Frieden dann auch länger hält. Diese Überlegungen geraten angesichts des aktuellen Kriegsgeschehens völlig in den Hintergrund, dürfen aber nicht vergessen werden.

Wie steht es um den Zugang zu Ressourcen, einem weiteren der von Ihnen erwähnten drei Rs? 

Feministische Sicherheitspolitik muss die humanitäre Katastrophe in Gaza unbedingt in den Blick nehmen. Dass der Zugang zu Ressourcen völlig abgeriegelt ist, beschränkt die Rechte aller dort lebenden Menschen. Aber für Frauen und andere marginalisierte Gruppen ist es besonders hart. Stellen Sie sich vor, was es für schwangere Frauen und Neugeborene bedeutet, wenn es keine gesundheitliche Versorgung mehr gibt. Oder wenn menstruierende Frauen keine Hygieneprodukte mehr bekommen können. Das ist nicht nur eine gesundheitliche Gefährdung, sondern auch eine Einschränkung der sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen. Die zu verteidigen ist Aufgabe einer feministischen Sicherheitspolitik.

Sie leben und arbeiten in Beirut. Haben Sie Sorge, dass sich der Krieg auf den Libanon ausweitet? 

Das hat er ja bereits, selbst wenn wir in Beirut noch in angespannter Ruhe leben. Im Süden des Landes gibt es wegen der Gefechte zwischen Hisbollah und der israelischen Armee bereits an die 50 000 Binnenflüchtlinge. Kürzlich hat Israel dort auch eine Gruppe von Journalisten beschossen, wobei ein Reporter getötet wurde. Die Sorge ist sehr, sehr groß, dass der Krieg den gesamten Libanon überzieht.

Die Hamas hat bei ihrem Angriff in Israel gezielt sexualisierte Gewalt eingesetzt. Hat Frauen erniedrigt, entblößt zur Schau gestellt, vergewaltigt. Nun wird der UN-Frauenrechtsorganisation und anderen Feministinnen vorgeworfen, diese Verbrechen nicht früh und entschieden genug verurteilt zu haben. Haben Sie eine Erklärung für die verspätete Reaktion? 

In allen Konflikten dieser Welt wird sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe eingesetzt und bleibt dabei häufig unsichtbar, weil dem zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird...

...gerade deshalb müssten sich Feministinnen doch sofort gegen jede genderbasierte Gewalt positionieren... 

Zur Person 

Lydia Both ist Politikwissenschaftlerin mit einem Master in Friedens- und Konfliktforschung der Frankfurter Goethe-Universität.

Seit Juni 2022 leitet sie das Regionalprojekt zu politischem Feminismus im Mittleren und Nahen Osten sowie Nordafrika der Friedrich-Ebert-Stiftung mit Sitz in Beirut, Libanon. Zuvor war Lydia Both fünf Jahre lang Beraterin in einem entwicklungspolitischen Projekt in Äthiopien.

Selbstverständlich. Allerdings ist die Beweisaufnahme in diesen Fällen besonders erschwert. Dass UN-Women verzögert reagiert hat, kann auch damit zusammenhängen.

Aber in diesem Fall haben die Täter die Beweise doch selbst geliefert und Bilder ihrer Verbrechen im Netz verbreitet. 

Stimmt, es hätte viel früher aufgeschrien werden müssen. Das zeigt meiner Meinung nach, wie extrem unterschiedlich die Realitätswahrnehmungen und Diskurse sind – in Israel und dem Westen auf der einen und dem arabischen Raum auf der anderen Seite. Die Wahrnehmungen sind so geframed, dass die eine Seite die Nachrichten und Bilder von der anderen Seite fast völlig ausschließt. Hier im Libanon zum Beispiel wird die andere Seite schlicht nicht gehört und gesehen. Es sind fast hermetisch geschlossene Nachrichten- und Diskursräume. Die Polarisierung und fehlende Empathie sind unglaublich krass. Und dass auf beiden Seiten auch immer wieder Fake-News verbreitet werden, erhöht nicht die Glaubwürdigkeit.

Gerade weil sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe eingesetzt wird, betont die feministische Sicherheitspolitik den Schutz von Frauen. Doch kann dieses Schutzargument nicht auch instrumentalisiert werden? 

Tatsächlich wird der vermeintliche Schutz von Frauen auch angeführt, um Kriege zu begründen. In so einem Fall werden Frauen ausschließlich als Opfer dargestellt und viktimisiert, um eine militärische Intervention zu rechtfertigen. Dies wird als „Securo-Feminismus“ bezeichnet. Doch wo bleibt die Frauenermächtigung, wenn sämtliche Infrastrukturen eines Landes zerstört und der Zugang zu Ressourcen zunichte gemacht werden?

In ihrem Koalitionsvertrag hat unsere Regierung eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik versprochen. Ebenso eine feministisch orientierte Entwicklungspolitik. Entdecken Sie diesen Ansatz bei den deutschen Reaktionen auf den Nahost-Konflikt? 

Ja, so weit es die Verurteilung des Hamas-Terrors und die sexualisierte Gewalt angeht. Doch in der Reaktion auf den Krieg in Gaza sehe ich davon wenig. Eigentlich ist es angesichts der Lage der Menschen in Gaza unvorstellbar, dass ausgerechnet Deutschland, aber auch die USA, gegen einen Waffenstillstand sind. Das würde ja nicht bedeuten, die Sicherheit Israels in Frage zu stellen.

Und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat sofort alle Gelder für die Palästinensergebiete eingefroren und einer gesonderten Überprüfung unterzogen... 

... obwohl die Mittel für die palästinensische Zivilgesellschaft schon immer besonders geprüft werden – und gerade jetzt eigentlich zivile Stimmen gestärkt werden sollten, die sich gegen die Hamas, israelische Besatzung und autoritäre Tendenzen der Palästinensischen Autonomiebehörde stellen.

Wie wäre der feministische Ansatz in dieser Gemengelage? 

Sicherheit für alle in der Region langfristig zu denken. Das beginnt mit einer Waffenruhe und humanitärer Hilfe in großem Maßstab für die Menschen in Gaza. Die deutsche Außenpolitik müsste ein ehrliches Gespräch mit dem israelischen Partner suchen. Müsste zusammen mit anderen internationalen Akteuren klare Grenzen aufzeigen und auf Einhaltung des humanitären Völkerrechts bestehen. Gleichzeitig muss es um dauerhafte politische Lösungen gehen. Wozu auch gehört, dass Israel sich an die UN-Resolutionen hält, statt sie durch den Siedlungsbau ständig zu brechen.

Bei der deutschen Debatte um den Gaza-Krieg geht es auch um die Frage der Kontextualisierung. Also: Inwieweit darf und muss man die Geschichte des Konflikts immer mitbedenken. Was bedeutet das aus feministischer Sicht? 

Kontextualisieren ist absolut wichtig, um die Ursachen von Konflikten zu erkennen und an politischen Lösungen zu arbeiten. Wie soll das sonst gehen? Ich komme aus der Friedens- und Konfliktforschung, und da gehört es zum Selbstverständnis, dass ein Konflikt nur dann nachhaltig gelöst werden kann, wenn der Kontext verstanden wird.

Was bedeutet es für Deutschlands internationale Reputation, wenn die Politik in der Praxis nicht hält, was sie feministisch auf dem Papier versprochen hat? 

Die Auswirkungen bekomme ich in meiner Arbeit sehr deutlich zu spüren. Internationale Akteur:innen haben die Entwicklung der deutschen feministischen Außen- und Entwicklungspolitik nicht nur enthusiastisch verfolgt, sondern wurden zum Teil in entsprechende Prozesse miteinbezogen. Diese progressiven Feministinnen werden angesichts der deutschen Reaktion auf den Krieg ziemlich sprachlos zurückgelassen. Sie verlieren das Vertrauen in die deutsche Politik, und Deutschland verliert wichtige Partnerinnen für die Umsetzung einer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik. Es ist ein herber Glaubwürdigkeitsverlust.

Doch wenn es um solche Schlächter wie die der Hamas geht – wirft feministische Außenpolitik da letztlich nicht nur mit Wattebäuschchen? 

Ach ja? Und was wurde vorher gegen den Terror unternommen? Hat das etwa zu nachhaltigem Frieden und Sicherheit geführt? Ich bin weiterhin der Überzeugung, dass eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik zu nachhaltigem Frieden beitragen kann.

Lydia Both.
Lydia Both. Foto: Privat © Rabih Mouanes

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