Montag, 13. April 2020

ALLEINSEIN UND NÄHE in Zeiten von Corona

   



Selbst Menschen, die es gewohnt sind, sich in regelmäßigen Abständen in die Klausur zu begeben und ohne Ablenkung nur in Stille zu sein, tun dies, wenn sie keine Einsiedlerinnen sind, in Gemeinschaft. Sie schweigen gemeinsam, beten miteinander, teilen ihre Mahlzeiten und bleiben in Stille, ohne Worte, ohne Bücher, ohne Tagebücher, nur SEIN und meditieren. 
Das, was im Moment der ganzen Welt widerfährt, verordnete Klausur, verordnete Distanz, ist gegen jeden Gemeinschaftssinn. In unserer Kultur sind Distanz und geforderte körperliche Abstinenz kaum zusammenzubringen mit der Idee, sich anzuschauen und wertzuschätzen, geschweige denn zu lieben. In meiner Kindheit war es durchaus ein strafendes Mittel bei Ungehorsam oder Differenzen anderer Art nicht mehr miteinander zu sprechen und sich aus dem Weg zu gehen. Meine Mutter hat dies einmal sechs Wochen lang mit mir durchgezogen und ich wußte am Ende, das kann ich überleben, aber der Preis war der Irrsinn und Angst vor bestimmten Distanzen. Kinder werden mit Verachtung und Nichtwahrnehmen gestraft, das ist das kulturelle Erbe, dem wir uns grade ausgesetzt sehen und das wir mal eben so durchstehen sollen. Viele Menschen merken gar nicht, woher ihre Traurigkeit oder das Gefühl abgelehnt zu sein  herkommen. Distanz, Isolierung, Quarantäne sind psychisch nur schwer auszuhalten, insbesondere, wenn die geforderten Maßnahmen über einen langen Zeitraum gehen.
Ich finde es eine große Kunst, das in dieser Zeit mal eben so zu durchbrechen.
Dann kommt noch hinzu, dass viele Menschen ohnehin alleine leben. Ihre Isolation wird grade in Abwesenheit der vielen Ablenkungen noch unerträglicher. Alten Menschen wird die Umarmung verwehrt. Was, wenn sie daran sterben? Als dieser ganze Irrsinn mit den Corona Massnahmen begann, war ich erstmals froh, dass meine Geliebte tot und meine Eltern im letzten Jahr beide verstorben waren. Wenn meine Eltern am gebrochenen Herzen gestorben wären, vor Einsamkeit, ein mir schier unerträglicher Gedanke. Ich  hätte ebenso wie Heribert Prantel eine einstweilige Verfügung erwirkt für eine Umarmung. Ich hätte dies tun müssen, sonst wäre mir mein Herz gebrochen. Oder als nicht nur die Spielplätze, sondern auch die Friedhöfe geschlossen wurden, dachte ich, wie irre ist das denn, wenn ich meine verstorbene Liebste dort nicht hätte besuchen können. Es machte plötzlich einen Sinn, dass wir uns einen anderen Weg für die Asche gesucht hatten. Ich war so dankbar, dass es zwischen uns immer einen freiheitsliebenden Impuls für ANDERE Wege gegeben hatte.
Ich selber lebe alleine und bin es gewohnt, mein Leben gesund und selbstbestimmt zu leben. Aber plötzlich wahrzunehmen, dass die meisten Menschen mit ihren Partnerinnen und Familien auf Abstand gingen, dass auch draußen keine Menschenmengen da waren, da tat sich noch einmal eine andere ALLEINSEIN Spur auf. Solange ich ins Theater, Konzert, in Ausstellungen  und Kino gehe, bin ich mittendrin. Als dies alles wegfiel gab es kein Mittendrin mehr. Es gibt die heroische Geste des DAS SCHAFFE ICH SCHON und ich spürte, die packe ich nicht an, das ödet mich an, so zu tun als ob. Ich begann Freundinnen anzurufen und ihnen davon zu berichten. Es gab andere Frauen, die alleine leben, die ebenso von ihren Ängsten oder hilflosen Gefühlen berichteten. Das half.
Dann begann die Zeit der Spiele über soziale Netzwerke. Schenk mir ein Herz, wenn ich auf Dich rechnen kann oder wenn Du mich magst. Ich war völlig verblüfft und dachte trotzdem einen Moment lang, und was, wenn niemand ein Herz auspackt? Und Du doppelt  isoliert dasitzt?


Kinder- und Jugendfotos wurden ausgepackt und einander gezeigt. Das fand ich wundervoll, das letzte Mal hatte ich meiner Geliebten vor 38 Jahren meine Fotoalben gezeigt. Ganz zum Anfang unserer Beziehung saßen wir eng aneinander gekuschelt auf einem Sofa und blätterten in ihren und meinen Bildern.


Es waren am Ende bis heute stabile langjährige Freundschaften, die mir den Schrecken nahmen. Tanja und ihren Kindern wurden echte Freundschaftsbesuche untereinander nicht zu viel. Wir machten lange Spaziergänge und packten Picknick ein. Selbstgebackene Kekse, frischgebrühter Cafe, einfach mal losziehen.



 Gute Telefonate mit meiner Freundin Sigrun vertieften eine verbindliche Freundschaft über die bisherigen Grenzen hinaus. Ich merkte plötzlich, wie sehr gerne ich sie hatte und welche Verbindlichkeiten ich bereit war einzugehen.


Zwei Menschen reichten mir bisher gut aus. Und dann trat plötzlich Hanne auf, 


bisher nur eine sehr gute Blogbekanntschaft entwickelte sich zur Whatsappfreundin mit Filmen und privaten Sequenzen. Wir lernten unsere Stimmen kennen. Eine völlig neue Erfahrung. Wir mögen unsere Stimmen und waren doch verwundert. Und sie schickte mir einen zauberhaften selbstgestalteten Brief mit Olongtee, Tea for two,eine Freundschaftgeste besonderer Art.

Meine langjährige Blogfreundin Anja schickte mir einen Brief mit selbstgestrickten Kuschelsocken, und wir mailten uns gute Wünsche und versuchten einander beizustehen. Es entstanden also vollkommen neue Beziehungsstrukturen und vermutlich Freundschaften.
Ich bin nur auf den Abstand von 1,5m eingegangen draußen. Ansonsten bin ich gewandert, rausgefahren. Ostern wanderte ich von Wannsee über die Havelchausse bis nach Charlottenburg.








Berlin janz weit draußen jwd, wie die Berlinerin sagt, und alle unterwegs. Es war endlich wieder Leben überall. Trotzdem hier und da einige einsame Wege und feine Plätzchen zum Picknicken. UND DANN GANZ PLÖTZLICH dieser eine ganz stille Moment: die warme Sonne auf altem Holz und über den Kieferwäldern, der strahlend blaue Himmel und die Streusandebene und der Geruch aus all dem und ich fühlte mich Zuhause, mein Heimatgeruch aus früher Kindheit. DAS WAR MEIN OSTERGESCHENK. Heimat. Zuhause.


Was ich sehr geliebt habe in den letzten Wochen:
die U- und S-Bahntüren, die sich von alleine öffnen, die leeren Abteile und zuweilen das freundliche gegenseitige Zuweisen von Plätzen, die stille Übereinkunft auf den Wegen beim Platzmachen, manchmal das Lachen beim Stolpern dabei, das Danke beim Respekt voreinander, überraschende Nähe mit Sympathiebekundungen, ja oft ein Bitte und ein Danke. Die leeren Stellen in der Stadt, endlich mal so viel Platz, wie eine Einzelne oder ich eben auch gerne mal hat. Die hilfsbereite Nachbarschaft. Das Hinüberreichen von Leckereien. Die Zigarette von Balkon zu Balkon. Ich habe Berlin wieder zu schätzen gelernt. Es ist meine Heimatstadt und es war bisher ein smarter Weg durch eine holperige Seelenlandschaft.
Ich habe mich wiederholt bei den wunderbaren Mitarbeiter*innen der Edeka- und Alnatura Märkte bedankt, mit welch einer Freundlichkeit sie viel mehr Arbeit taten und mir oft das Gefühl von  GUT VERSORGT ZU SEIN vermittelten.
Ich bin mir sehr nahe gekommen und auch anderen Menschen näher als bisher. Ich habe mir einige Selbstauskunft abverlangt und will nicht viel, aber doch etwas ändern im Leben und das werde ich schaffen. Ein wenig habe ich mehr Freude am Altwerden bekommen und am Glücklich werden auch. Das ist schön.
Alle Fotos, die ich hier von Personen zeige in diesem Post sind autorisiert und positiv bejaht worden.
Ach ja und ich habe viel Zuhause getanzt und gesungen. Musik war ein großer Trost bisher. Ich habe noch nie so viele Schallplatten und Musik CDS gehört und von der Playlist des Youtubekanals mal ganz zu schweigen, das kannte ich vorher gar nicht.
Nicht zuletzt, weil mir beim Durchstöbern alter Unterlagen diese Fragen eines Workshops entgegenflogen, die haben mich verzaubert und angeregt:
Wann hast Du zum letzten Mal getanzt? Wann hast DU zum letzten Mal gesungen? Wann hast Du Dich zum letzten Mal von einer Geschichte   verzaubern lassen? Wann hast Du zum letzten Mal im heilsamen Raum der Stille Trost gefunden?
Lesen war auch ein Rettungsanker, wunderbar.
Ich habe nur zwei Filme gesehen.












 


4 Kommentare:

  1. Was für ein wunderbarer post wieder!!! Corona-Lektüre der besonderen Art. Und so wohltuende Frühlingsbilder. Vielen Dank, liebe Ute, daß du uns so nah an deinem Leben teilhaben läßt :)Wie wär's denn heute Abend mit einem Kännchen Oolong Tee? 19.30 Uhr Instagram live mit Dunja Hayali und danach um 20.15 Uhr mit Florian Schröder - mittwochs immer mit Prof. Dr. Nagel, einem Arzt und Philosoph.....Gerne mit ein paar Keksen an der Seite :)

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  2. Liebste Hanne,vielleicht bestimmt bin ich dabei und freue mich Schon bis nachher oh diese Handy Tastatur herzlich gewunken ute

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  3. toll beschrieben mit deinen Gefühlen was du so erlebt hast. Es ist eine Bereicherung so sein Leben zu sehen und in dieser Zeit noch intensiver das stimmt bemerke ich auch.
    Schön die Fotos dazu..und ich war wieder gerne dabei in deinem Auschnitt aus deinem Leben!
    Lieben Gruss Elke

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  4. Liebe Elke, dass Du so viel erlebst und manches ähnlich, das weiß ich von all den Jahren. Danke, dass Du es mir mit so viel Wärme rückmeldest. Ich wünsche Dir eine friedliche Zeit am Meer Du Krabbe

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