WONDERSTORIES
Glaubensfragen
Anfang
Februar bemerkte ich, dass ich nicht nur zwanzigjähriges Arbeitsjubiläum bei
meiner Arbeitgeberin hatte, sondern dass ich überhaupt seit 45 Jahren
berufstätig bin. Ich habe immer mein eigenes Geld verdient und wollte das auch
nicht anders. Ich bin viele Berufe und Ausbildungen durchwandelt aber begonnen
hat alles damit, dass ich noch als Schulgängerin immer am Wochenende in einem
katholischen Krankenhaus in Wilmersdorf als Stationshilfe arbeitete und mein
eigenes Taschengeld verdiente. Ich hatte dann 200 DM und das war unendlich viel
Geld. Es war ein schönes Arbeiten dort. Alle, auch die Ärztinnen waren Nonnen,
alle Arbeitsbereiche wurden von Nonnen geleitet und angeleitet. Sie hatten
einen eigenen Betriebshof mit Gärtnerei und Tieren, sie schlachteten
eigenständig, sie kochten alle Essen selber und das Essen war ein Gedicht. Wir
durften dort alle mitessen und auf den Stationen wurde auch gefrühstückt mit
dem ganzen Diensthabenden Personal…nur Frauen…ich liebte das. Ich bin dort in
dem Haus geboren. Zu diesem Zeitpunkt war ich aus der Kirche ausgetreten und
war offiziell per Lohnsteuerkarte konfessionslos.
Als
ich mich bei der Oberin bewarb, war dies ein wirklich spannendes Gespräch. Sie erwähnte
nebenbei, dass sie es ja bemerkenswert fände, dass ich mich ohne
Kirchenzugehörigkeit nun grade auch noch in einem katholischen Haus bewarb.
WARUM?
Ich
erzählte ihr, dass ich die katholische Christenlehre in der Schule immer
interessanter fand und dass ich wegen Ungereimtheiten bzw. auch unchristlicher
Beteiligung beider Kirchen während des zweiten Weltkrieges und der Judenverfolgung aus der Kirche
ausgetreten sei. Aber dass ich mich immer noch mit Glaubensfragen beschäftigen
würde und dass Gott vermutlich nicht so viel damit zu tun habe. Sie fragte mich
nach der Literatur, die ich so las und war insgesamt aufgeschlossen. Sie fand
mich charakterstark in meinen Entscheidungen, so nannte sie das und ihr gefiel
es, dass ich auch ehrlich sagte, dass ich keine Nonnenschaft in Erwägung zöge.
Ich wollte nur Geld mit was Sozialem verdienen und mal in den Beruf der
Krankenpflege reinschnuppern. Gut, sagte sie, da verbinden sie das Nützliche
mit dem Praktischen und Gott ist hier Zuhause, wenn sie ihn suchen, können sie
ihn ab und an bestimmt antreffen, aber wie, das entscheiden sie. Sie können uns
alle jederzeit darauf ansprechen, aber wir erwarten es nicht. Wir wünschen uns
nur, dass sie sich sozial und christlich verhalten, alle Patienten/innen und
Kolleginnen gleich behandeln und bei Glaubensfragen der Patienten/innen unsere
Seelsorgerin dazu holen. Ich durfte Hosen anziehen, musste mich nicht
verstellen und es war möglich mich satt zu essen, ohne der Völlerei bezichtigt
zu werden.
Ich
kam auf eine chirurgische Station und zu einer Oberschwester, die einen
köstlichen Humor besaß. Sie führte mit mir jede Diskussion, die ich anleierte
und ich diskutierte für mein Leben gern. Sie auch. Manchmal wurde sie es etwas
zickig, aber nur, wenn männliche Besucher oder Patienten ihre Kompetenz
anzweifelten. Da war sie gnadenlos sachlich und fast arrogant. Ich mochte das.
Da durfte ich allerding nicht Nachfragen stellen.
Nach
vier Jahren verließ ich dann das Haus und begann meine beruflichen Ausbildungen.
Sie verabschiedete mich unter anderem mit dem Satz, dass ich bitte nie meine
Zweifel verlieren sollte in Bezug auf den Glauben, das Leben hätte nämlich
viele Überraschungen für jede von uns parat, und wir sollten immer neugierig
bleiben. Glaubensfragen sind immer Fragen nach dem Leben. Bei ihr hatte ich
gelernt, dass Ambivalenz das Kerngeschäft des Lebens ist und dass Jesus an
Kreuz zu nageln eine Abwehr der eigenen Schatten bedeutet. Zwanzig Jahre später
saß ich im Psychologiestudium und eine Professorin sagte fast die gleichen
Worte. Ich hatte längst begriffen, dass ich auf dem richtigen Weg war, wenn Déjà-vu
und Gleichklang mir begegneten. In diese Zeit fiel dann auch die Begegnung, um
die es in dieser Geschichte gehen sollte.
Ich
arbeitete neben dem Studium halbtags für die evangelische Kirche als Krankenseelsorgerin
auf einer Palliativstation und einer Geriatrie. Ich arbeitete mit Pfarreien und
Besuchsdiensten zusammen. Eines Tages kam die katholische Gemeinde auf mich zu
und fragte nach, ob ich eine Besuchsdienstgruppe ihrer Gemeinde bei ihrer
Arbeit unterstützen könnte und ob es in unserem Haus einen Bedarf gäbe. Der
Bedarf war natürlich da und mir und der Chefärztin des Krankenhauses waren nur wichtig, dass es eine offene
Seelsorgearbeit sein sollte. Dies galt es also in einem Kennenlern Treffen zu
erörtern.
Als
die fünf Frauen, alle weit über 50 Jahre und älter zu dem ersten Treffen kamen,
stutzte ich bei einer der Personen, aber nur so einen Moment lang, und gleich
war es wieder vorbei. Als wir uns eine
Weile unterhielten und jede so ihre persönlichen Beweggründe offenbarte,
stutzte ich wieder. Es war die Stimme, es war so eine Heiterkeit in den Augen,
aber ich wusste sicher, dass ich die Frau nicht kannte und doch war sie mir
vertraut. Sie war mit 65 Jahren die älteste und hatte auch einen gewissen
Führungsstil innerhalb der Gruppe, den alle auch respektvoll begegneten, nicht
sich unter sondern eher beiordneten. Damit war auch mir klar, dass sie gut
unabhängig von mir arbeiten könnten und mein Büro selbständig mitbenutzen
würden. Eine Zusammenarbeit in den Gottesdiensten konnten sie sich auch aktiv
vorstellen, so dass es tatsächlich auch für mich eine Entlastung gab. Alle
waren sympathisch und kompetent.
Ganz
zum Ende hin, sprach mich die Frau an. Ich kannte nicht einmal ihren Namen.
Sehen
sie, das Leben hat auch für mich immer wieder Überraschungen parat und ich habe
den Zweifel zwar nicht ganz behoben, aber ich bin ruhiger geworden. Sie
erkennen mich und doch wieder nicht. Ich habe sie sofort erkannt, schon als ich
ihren Namen las, wusste ich, wenn die göttliche Fügung die wäre, die ich
erahnte, würden wir hier bei ihnen genau richtig sein.
Und
dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen, sie war meine alte
Ordensschwester, die meine erste Oberschwester war. Nur ohne die
Ordenstracht. Und wo bitte schön hatte sie
die gelassen. Ich hatte sie nie ohne verhüllten Kopf gesehen, sie hatte
plötzlich eine Frisur und war eine weltliche Frau. Ich fiel wirklich aus allen
Wolken.
Die
Geschichte war einfach. Sie hatte eine sehr viel jüngere Schwester, die mit 40
Jahren an Krebs verstarb und drei minderjährige Töchter ohne Vater hinterließ,
der war schon zuvor bei einem Unfall gestorben. Für sie war völlig klar, dass
sie die Kinder mehr brauchten als die Kirche und ihre Glaubensschwestern. Sie
versprach ihrer Schwester auf dem Sterbebett sich zu kümmern. Und so lebte sie
mit ihnen zusammen in einem Haus am Rande der Stadt. Hatte sie nicht Mühe
damit, in dieser Welt zurechtzukommen? Sie grinste. Ein Krankenhaus in einer
Stadt wie Berlin miteinander zu führen IST DIE WELT. Kinder auf den Stationen
WAREN DIE WELT. Und über dieser Welt gab es den einen HIMMEL mit vielleicht der
einen oder anderen Unterstützung.
Wir
wurden gute Freundinnen, ihre Kinder sind erwachsen und sie verstarb vor drei
Jahren im Schlaf und hinterließ einen großen Frieden. Ich bin glücklich, ihr
begegnet zu sein.
welch eine wunderbare zutiefst berührende geschichte....
AntwortenLöschendas findet man wenn man auf die reise geht und einen ein kleiner Fingerzeug durch einen netten Kommentar hinführt...
herzlich ein Gruß zum Tage...
angelface
einen Gruss zum Tage und zum Dank zurück
Löschenliebe Angelface, dankeschön und einen Gruß zurück.
LöschenWas Du alles schon erlebt hast! Unglaublich :) Und sooo toll, daß Du Dir die Arbeit machst, dies alles für uns in so unterhaltsamer Weise aufzuschreiben. Dankeeeee :)
AntwortenLöschenbittteeee liebe Hanne.Schon dafür, dass es Dich oft freut, lohnt es sich... liebe grüsse
LöschenDieser Verlauf deines Lebens bis jetzt war ein gezeichneter Weg von offenen Händen für dich .. Herzensgute Ute wurdest du mit solchen Erlebnisse geworden!
AntwortenLöschenDanke für deine Lebenserinnerung zu teilen hier!
Lieben Gruss Elke