Engel am Rande des Kartoffelackers, an dem wir saßen |
Ich hatte zum Jahrestag 30 Jahre Mauerfall Dämonen erwartet und gute Geister flogen vorbei.
Tote sind
zwar tot, aber ihre Kraft und ihr gelebtes Leben hinterlassen zarte oder aber
auch kraftvolle Spuren und nichts, aber auch gar nicht geschieht zufällig. Eher
falle ich zu oder etwas fällt mir zu, das jedenfalls ist meine Erfahrung. In
der Zeit der durchlässigen Nebelebenen zwischen uns mir und der Anderwelt
geschehen vielleicht sogar viel mehr Begegnungen dieser Art.
Seit Anfang
dieses Jahres begleite ich im Rahmen meiner Arbeit eine Frau, 47 Jahre alt, DDR
sozialisiert auf ihren Routen zurück in irgendwie geartetes Erwerbsleben. Wir waren uns schnell sympathisch und das
Vertrauen in unserer beider Fähigkeiten wuchs gleichmäßig und fruchtbar. Am 8.
November saßen wir am Rande eines Kartoffelfeldes auf dem Ökohof, wo sie arbeitet.
Wir unterhielten uns über das große Bohei in Berlin zu 30 Jahren Mauerfall und begannen
langsam unsere dreissig Jahre auszubreiten. Plötzlich fragte ich sie nach ihrem
Alter und sie nannte es. Dann schob sie freundlich hinterher, dass sie genau heute
auch Geburtstag habe. Meine Großmutter, hätte sie noch gelebt, hätte am selben
Tag gefeiert. Das alles entfaltete sich
so zwischen uns und plötzlich wurde ich gewahr, dass mein Vater am 10. November
auch 85 Jahre geworden wäre. Sie stellte die Frage, was er beruflich so gemacht
habe und ich zeigte seine Biografie auf.
1953 hatte er seine erste Anstellung in der Staatsoper angetreten. Drei
Jahre später dann gab es das ungeheuer
einmalige Moment, dass bei den Berliner Philharmonikern genau diese Stelle
ausgeschrieben wurde, mit dem Zusatz 1. Fagott und damit auch Solist. Ich war
grade geboren, Fagott Stellen sind immer schon rar gewesen und meine Eltern
einigten sich darauf, dass er vorspielen sollte. Damit war ganz klar ein Umzug in
den westlichen Besatzungssektor verknüpft und alles mußte ja heimlich gehen,
wenn es klappen würde.
Es war, wie
es war, es klappte, mein Vater wurde genommen.
Und jetzt
kommt`s. Meine Klientin schaute mich fassungslos an. Und erzählte ihren Beitrag
zu dieser Geschichte:
„ und mein
Vater hatte das große Glück, dass Deiner rübermachte und hat seine Stelle
bekommen.“
Sie nannte
seinen Namen und ich wusste, ich kenne ihn auch.
Wir fingen
an zu weinen, ich weil mein Vater tot war und dass der ihre wieder so in mein
Leben trat, sowie er als Kind schon Teil unseres Lebens gewesen war. Sie, weil
sie überhaupt nicht fassen konnte, dass wir diese Geschichte glücklicher Weise endlich
zwischen uns entdeckt hatten und dies doch gar nicht so selbstverständlich war.
Das war
unser Geschenk zum 9.11.2019.Und wir begannen Frieden zu finden mit diesem
Datum und eine eigene Feierstimmung in uns zu entwickeln.
Wir werden
es hegen und pflegen.
So entstehen
oder wachsen Freundschaften und alte Linien werden fortgezogen im Reich der
Geschichten.
ich sitze da und staune ....was eine berührende Geschichte!!!
AntwortenLöschenEs sollte so sein dass ihr euch so gefunden habt!
Herzlichen Gruss Elke
Was für eine intensive Geschichte wieder! Unglaublich und doch wahr! Sowas denkt sich nur das LEBEN aus.....Vielen Dank, liebe Ute :)
AntwortenLöschenDas ist ja eine tolle Geschichte. Bin ganz berührt.
AntwortenLöschenAhoi
Oona