1/7/22/Rituale im Alltag
Morgens bin ich meist die Erste am Start, also sozusagen die frühe Amsel, der erste Gesang, grade, dass das Licht angeht, die Sonne noch hinter dem Horizont ihr Leuchten entfacht für diesen Teil der Erde.
Wenn jemand anwesend ist, kann ich auch sofort kommunizieren, ich pflege zu sagen, bei mir stehen die Worte im Kopf Schlange.
Ich stehe sofort auf und stelle mich zuallererst auf den Balkon und trete mit der erwachenden Welt in Kontakt. Die Amsel fliegt den Balkon an in dem Wissen, es gibt gleich Rosinen. Aber zuerst achte ich darauf, was sehe höre rieche ich…warnt die Krähe schon vor der Füchsin, ist es noch totenstill. Wie riecht es, feucht, nach Regen, trockenem Staub, frischem Grün, verwelkenden Pflanzen, die Welt ist morgens voller Gerüche der Stadt.
Gab es einen Traum?
Egal, was kommt, als nächstes brühe ich mir einen frischen Café auf, derweil ich auch den Vögeln frisches Wasser und auf einen Stein Futter auslege: Mandelstifte Sonnenblumenkerne Rosinen Goldhirse.
Mir wurde von einer alten Freundin gesagt, zuerst die Tiere, dann der Mensch, das fand ich damals berührend und ein Gesetz der inneren und äußeren Ordnung.
Dann kommt der Café. Wie schmeckt der erste Schluck?
Mit dem ersten Café gehe ich zurück ins Bett und schreibe Tagebuch. Jeden Tag. Selbst in der Fremde habe ich ein kleines Notizheft dabei und schreibe. Alles, was ich erinnere, Träume, was ich am letzten Tag gemacht habe, was ich wie bewerte, welche Ideen ich habe…das Spektrum ist weit. Das mache ich seit meiner Jugend.
Seitdem ich nicht mehr Lohnarbeiten gehe, obliegt meine Tagesstruktur vollkommen meinem Befinden. Früher waren diese Morgenstunden kostbare Zeit für mich, die mir für den restlichen Tag zur Orientierung und zum Einspacen dienten. Heute ist dies gar nicht anders, nur dass ich eine wohlige Freiheit spüre und die Möglichkeit der Ausdehnung genieße. Ich habe keine neue Tagesstruktur. Das Morgenritual ist geblieben.
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