MARATHON
Ihren
ersten Marathonlauf absolvierte sie mit 19 Jahren in 4 Stunden und 10 Minuten.
Sie läuft mit der Kraft, die Ruhe sucht
und Frieden schafft, welchen Frieden auch immer. Jedes Mal ist es ein anderes
Thema. Manchmal ist der Lauf das Thema, immer ist es der Körper, der schafft.
Diese Mal ist es ein Lauf mit dem Nachdenken über all jene Menschen in ihrem
Leben, die in den letzten zwei Jahren verstorben sind. Ein ruhiger und guter
Lauf wird sie später sagen.
Als
kleines Mädchen verließen sie die Beine. Die Schenkel sprangen aus den
Beckenschalen, so wie Felsbrocken ins Tal hinabkrachen, am Ende steht kein
Stein mehr auf dem anderen. Meine Schwerster hatte grade begonnen, von Stein zu
Stein zu hüpfen, Gummitwist, Hopse malen und springen, was Kinder in diesem
Alter so entdecken. Die Welt liegt voller Möglichkeiten vor uns, da verlassen
uns die Kräfte nicht von einer zur anderen Minute. Der Schmerz kam. Er kam
immer wieder. Er wurde nicht gehört. Sie sprach von dem Schmerz. Sie wurde
nicht gehört. Der Schmerz galt nicht in den Ohren der Erwachsenen. Dann zerriss
er dem hüpfenden Mädchen die Seele und sie schrie nein. Ungehört wuchs er in
ihre Welt des Laufens und riss ihr die Kraft aus dem Leib und stieß sie
erbarmungslos auf den Boden. Sie fiel zur Erde. Sie konnte keinen Schritt mehr
tun.
Wer
kleinen Mädchen im Schmerz misstraut und ihn zu mindern sucht, wird irgendwann
im eigenen Schmerz ersticken, aber bis dahin blieb er bei dem Mädchen. Er zwang
sie ins Krankenhaus, in die Knochen Chirurgie, auf Holzbretter, und er
hinterließ auf dem Körper große Narben. Narben so lang wie Bleistifte und dick
wie Wachsmalkreide. Er hinterließ Wundschmerz, Juckreiz, Rückenschmerzen,
Kraftverlust und Ohnmacht.
Die
Schwester lag. Monate lang. Sie lebte auf und in Gegenwart der Mutter verdarb
sie fast wieder. Sie verdarb fast vor dem Leben. Bis das Personal die Mutter
verwiesen. Dann gab´s Luft zum Atmen und dennoch blieb der lange Atem der
Heilung, den ein kleines Mädchen natürlich nicht hat. Sie spürte vielleicht den
Willen zu springen, zu laufen und zu hüpfen und frei zu springen, sich ungehemmt
durchs Leben zu bewegen. Die Wirklichkeit war ein unbewegliches Kind im Bett.
Im Gips, angebunden, fest gemacht. Meine Schwester lag fast ein Jahr im
Krankenbett.
Aber
irgendwann stand sie auf. Ich weiß nicht wie. Ich weiß nichts darüber, wie sie
das Laufen neu lernte. Sie lernte es aber aufs Neue. Sie erinnerte sich
vielleicht daran, aber sie brauchte ja neue Kraft in die Beine hinein. Sie
wackelte wie ein unsicheres Vogeljunges am Ufer eines Sees. Daran erinnere ich
mich. Sie strauchelte bestimmt. Wer hielt sie im Straucheln? Wer bei uns
Zuhause lief neben ihr, stand ihr bei in der Unsicherheit des täglichen Gehens.
Von wem fühlte sie sich gehalten und getragen?
Sie
stand auf, lernte laufen, zur Schule gehen, Gitarre spielen, dazu singen,
schreiben, lesen. Sie liebte es zu lachen, sie mochte Humor und spielte
Kabarett. Sie gewann Freunde und verlor Freundinnen. Sie versuchte die Liebe
und wurde Partnerin. Sie studierte. Sie half Menschen. Sie hörte zu und sprach
eher leise. Sie fühlte sich ein bis zur Selbstaufgabe. Sie fiel hin. Sie stand
auf. Sie rannte weg und kam woanders an. Sie hatte gründlich gelernt, auf die
Beine zu kommen…immer wieder.
Und
sie hatte gelernt zu laufen, schon in jungen Jahren joggte sie. Sie verbrauchte
Schuh um Schuh. Andere Menschen verlieren die Übersicht, sie verliert Jahraus
jahrein mindestens zwei Paar Schuhe. Sie begann schon früh Marathon zu laufen.
Sie stellt sich auf ihre Beine und läuft davon, um ihr Leben, um den Druck im
Leben auszuhalten, um ihrem Leben Kraft zu schenken, um sich zu spüren, um sich
aufzurichten, um in der ruhigen Natur den eigenen Rhythmus zu spüren und zu
finden. Sie läuft und steht und läuft.
Sie
begann mit 19 Jahren und ist heute 49 Jahre alt. Übermorgen läuft sie das
letzte Mal einen Marathon. Sie läuft den ZWEISPURBETONTRASSENMARATHON. Sie ist
unzählige gelaufen, nur drei Mal hat sie vor dem Ende aufgehört. Manchmal
hängen diese drei nach. Übermorgen werden auch diese drei mitlaufen und die
anderen werden sie tragen. Ihr Mann wird sie am Wegesrand tragen. Sie selber
trägt sich schon lange, immer wohl.
Jetzt
ist der Lauf vorüber. Sie ist 5 Stunden 17 Minuten gejoggt. Sie hat keine
Muskelbrände und sie ist glücklich. Es war der SCHÖNSTE Lauf sagt sie. Alles
durchgeknallte Leute, übersichtliche Anzahl, alle total nett und speziell. Du
bekommst die anderen mit, hast wirklich Kontakt. Die Jogger haben sich selber
versorgt. Also die Angehörigen versorgen die Jogger. Einer hat sein Wohnmobil
dabei und bietet jedem eine Dusche an, eine andere massiert Füße. Mein Schwager
hat in einem Campingstuhl gesessen und ist alle halbe Stunde beherzt
aufgesprungen, hat HIPHIPHURRA gerufen, hat sich wieder gesetzt und weiter in
den Lübecker Nachrichten gelesen, in der tiefen Sicherheit, dass sie in einer
halben Stunde wieder genau hier vorbeikommt. Sie laufen 4 km im Quadrat, also
auch das sehr übersichtlich. Zuschauerfreundlich…hihihi. Die Leute im Norden
sind skurril und klasse. Da kommen vielleicht mehr Zuschauer_innen als
Läufer_innen, hat auch seine Vorzüge. Man könnte im Gründe Parallel auch ein Boule
Matsch absolvieren oder so. Auf jeden Fall zusammen Café trinken und Kuchen
essen. IRRE………..
Und
meine Schwerster? Und ihre Beine?
Laufen
wird sie weiter, vermutlich Paar um Paar.
Aber
wer hat sie damals gehalten?
Ist
das Laufen selber der Halt?
Ich bewundere
meine Schwester. Sie ist eine wunderbare Läuferin. Ich kenne niemanden, der
einen so erhabenen Gang hat und erhobenen Kopfes durch die Welt läuft. Auch
wenn sie nicht joggt, aber dann auch.
vielen Dank für diese persönliche Gescicte von diener aussergewönliche mutige Schwester, die sich so ins Leben zurück kämpfte!!!! meine Tränen fliessen vor freude dass sie so glücklich ist nach dem was so viel Lebenskraft kostetste und so viel Wert war um so grossartiger Mensch all die Jahren zu sein.
AntwortenLöschenEin gutes Beispiel dass es Wert hat sich niemals auf zu geben oder davon abhalten zu lassen im Leben dazu gehören mit Körper und Seele wie Herz...
Schönes Wochenende wünsche ich dir
ganz lieben Gruss Elke
Liebe Elke, genauso sehe ich das auch.
LöschenDanke für Dein Vorbeischauen.
Ich wünsche Dir auch ein schönes Wochenenede und Danke für Deine bezaubernden Worte Du Liebe
sie strahlt was wunderbares aus, so angenehm und sympathisch.
AntwortenLöschenund sie hat eine tolle schwester!
m.
DANKE für die rührenden Worte und diese Rückmeldung.
LöschenMir blieb fast die Luft beim Lesen weg.....Wow - so ein starkes Mädchen, so eine starke Frau! Damals hat sie ganz bestimmt ein guter Engel gehalten. Liebe Grüße an Dich und Deine Schwester :)
AntwortenLöschenDANKE liebe Hanne,
Löschensie ist meine Lieblingsschwester,
ich hab aber auch nur diese eine...aber heute finden wir uns endlich auch toll...wie Schwesternwege ja auch so sein können...schönen Wochenstart Dir
Ich bin tief beeindruckt!!
AntwortenLöschenViele Grüße
Oona