Dienstag, 1. Juli 2025

U Bahnstories/ Hast Du noch Hoffnung?

 



 

Ich sage ja immer wieder. Die schärfsten Begegnungen finden in der U Bahn statt, jedenfalls scheint es bei mir so zu sein.

Heute Morgen auf dem Weg zum Schwimmen las ich in einer Zeitung. Gegenüber saßen zwei junge Frauen, die vermutlich zur Uni fuhren, jedenfalls trugen sie Taschen mit dem FU Logo bei sich. Neben mir schrieb eine etwas ältere Frau in ein Skript und wir alle vier waren ganz vertieft. Normaler Weise hätte sich niemand mehr dazugesetzt, es war genug Platz im restlichen Abteil.

Plötzlich stand ein vielleicht 10 jähriger Junge in unserem Gang, schaute sich um und setzte sich neben mich. Er holte ein Buch raus und begann zu lesen.

Gegenüber fläzte sich eine recht üppige Frau zwischen die beiden Unifrauen und machte sich, wie ich fand ungebührlich und respektlos breit. Sie trug ein graues Trägershirt, unter dem ein etwas schmierig wirkender rosafarbener BH hervorlugte. Dazu eine Jogginghose und breite verdreckte Turnschuhe. Der Hit waren ihre grandios lackierten Fingernägel, die einen breiten schwarzen Rand extra mit dunklem braunen Lack aufgesetzt gemalt hatten. Sie saß da ungeschminkt, recht pur, vollkommen trotzigen Blickes, alles an ihr schrie: Seht her, ich bin der Dreck unter Euren Nägeln. Solche Gedanken hatte ich bei ihrem Anblick und wunderte mich doch, denn ich respektiere Frauen immer und aus der Norm gefallene ohnehin. Aber hier stimmte etwas nicht.

Ich schaute zu meinem Nachbarn und sah, dass er einen englischsprachigen Roman mit reduziert aber gut illustrierten Figuren las. Grade hatte er eine Seite aufgeschlagen, auf der ein Mädchen total wütend einen Jungen anschrie, den Text dazu konnte ich nicht verstehen. Er wollte das Buch grade zuschlagen und wegpacken, als ich ihn fragte, ob er das Buch für die Schule las. Er lächelte und erklärte mir, dass er das nur für den Schulweg hatte, aber dass er auf die JFK Schule ging und damit erklärten sich mir seine Englischkenntnisse. Die John F. Kennedy Schule ist eine zweisprachige internationale Schule mit einem sehr guten Ruf. Er war ganz aufgeschlossen und berichtete von seinen Ferienplänen. Unvermittelt wechselte er das Thema und sprach nur noch hallblaut.

„Ich glaube, die Frau gegenüber ist genauso wütend wie das Mädchen in meinem Buch.“

Ich erklärte ihm, dass ich den Text dazu nicht verstanden hätte.

„Das Mädchen hasst es, dass alle sie immer so anstarren, bloß weil sie anders angezogen ist als die Mitschülerinnen. Es geht darum, dass die Normen nicht der Maßstab sein sollen.“

Die Trotzige hatte mitbekommen, worüber wir sprachen. Sie mischte sich ein.

„Ihr beiden merkt, was bei mir los ist, oder?“

Der Junge blieb ganz ruhig und erwiderte nur:

„Nein ich weiß nicht, was bei Dir los ist, aber Du wirkst unheimlich wütend,“ dabei zog er das Buch wieder hervor und zeigte ihr das Bild und die Textstelle.

Sie lächelte ihn an.

„Hast Du Hoffnung?“ fragte er sie.

Ich war völlig verblüfft über diese unvermittelte tolle Frage.

Sie begann ganz freundlich zu lachen, ihr Gesicht wurde weich und sie antwortete:

„Wenn Du mich das jetzt so fragst, merke ich, dass alles in mir JA sagt.“

„Dann sei doch glücklich und trage Dein Lachen in die Welt“, sagte er ohne eine Attitüde der Überheblichkeit, als wäre es das Allerselbstverständlichste der Welt, unter Fremden diese Gespräche in einer U Bahn zu führen.

„Was hoffen sie?“ wollte eine der Unifrauen wissen.

„Dass ich wieder zufriedener sein kann, mich an der Sonne freue, morgens gerne aufstehe und das Geld für meine Miete zusammenkriege.“

„Welche Hoffnungen hast Du?“ fragte ich den Jungen.

„Dass ein Junge in meiner Klasse merkt, dass ich ihn liebe und dass er das ok findet.“

„Sag es ihm!“ forderte die Trotzig Hoffnungsvolle.

„Mach ich. Heute noch. Kann ich Dich anrufen, wenn`s ganz schlecht läuft?“ fragte er sie.

Sie zeigte sich sofort einverstanden.

„Du bist so ein ungewöhnlicher Junge, Dich hätte ich gerne zum Bruder.“

„Lass uns Freunde sein, das ist besser“, antwortete er. Sie tauschten die Handydaten und er verließ die Bahn mit einem entzückenden Lächeln in die Runde.

Ich nahm kurz seine Hand.

„Du bist etwas ganz Besonderes.“   

 

 

 

 

 

 

 

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