Frieden alltäglich
Dienstagvormittag in einem BVG Bus. Da ich eine längere Strecke vor mir habe, beschließe ich mich aufs Oberdeck zu gehen. Ganz leer, obgleich unten viel los ist. Ich will mich grade setzen, als eine Frauenstimme von hinten sich nach vorne bewegt, schimpfend, Worte, die ich mir noch nicht zuordne, dann steht sie neben mir, eine Frau um die vierzig. Sie bepöbelt mich und wirft mir distanzlos Sätze an den Kopf, dass ich merke, ok, hier ist psychisch gar nichts im gesunden Bereich. Ich stehe auf und will mich entfernen, als sie mich aggressiv und brutal am Arm festhält. Das wiederum mobilisiert meine ziemlich gesunden Instinkte und ich reisse mich los und weise sie derb in ihre Grenzen. Reines Überleben in völlig zivilen Verhältnissen. Wir stehen uns wortlos gegenüber und ich kann ihre Worte überhaupt nicht in Zusammenhang bringen mit ihrem stillen Gesicht. Zuordnung gar nicht möglich, zu nichts. Ich bleibe stehen. Sie auch. Der Bus auch. Ich höre, dass mitten auf der Strecke alle Türen im Bus aufgemacht werden. Und dann kommt der Busfahrer hoch. Ein ruhiger Mann.
OK, sagt er, sie können wie immer aussteigen, wenn sie wollen oder sich ruhig hinsetzen. Die abgesprochenen 20 Minuten sind um.
Sie schaut ihn friedlich an und packt ihre Sachen und geht ruhig raus aus dem Bus. Der Busfahrer schaut mich an und fragt, ob mir noch was weh tut, ich verneine.
Sie ist meine verrückte Lieblingsirre auf dieser Strecke. Ich habe mit ihr eine Absprache: Anfassen geht nicht und Kinder verängstigen auch nicht. Und es gibt ein Zeitlimit, 20 Minuten, danach öffne ich den Bus. Sie braucht die Freiheit zu gehen oder zu bleiben.
Ich bin völlig fasziniert über seine Überlegungen und dass er mit ihr anscheinend geredet hat.
Bevor er
runtergeht zu seinem Fahrersitz und alle Türen wieder schließt sagt er:
Ich habe eine psychisch kranke Schwester, ich ziehe diese Menschen an.
Ich sage: Sie haben mir grade gezeigt, wie Geduld und Anstand und Freiheit und friedliches Miteinander gehen kann. Gut.
Und ich denke im Nachklang noch, dass er dies schafft, obgleich er mit dem Fahrplan unter Zeitdruck steht.
So geht Frieden? So geht Frieden auch.
Weder der Busfahrer noch ich wissen, was dieser Frau im Leben widerfahren ist. Aber ungeachtet dessen brauchts Klarheiten und Grenzen und Respekt.
Ein ungewöhnlicher Busfahrer, der seine persönlich gemachten Erfahrungen in anderen Situationen einsetzt – das ist wirklich faszinierend und inspirierend.
AntwortenLöschenDanke fürs Erzählen
Petra
Aber tun wir das nicht alle, auf bewusste oder unbewusste Art?Ich fand den Busfahrer so empathisch und klar. Danke fürs hier Vorbeischauen.Grüße Ute
LöschenUiuiui.....ich hab wieder die Luft beim Lesen angehalten! Mir machen solche Situationen richtig Angst. Zum Glück hast du gut und richtig reagiert. Und der Busfahrer - ist der Hit!!! Danke für deine Friedens-posts ❤️
AntwortenLöschenLiebe Grüße und Herbstwochenende und schön durchatmen liebe Hanne, 😂🌟😇
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