Sonntag, 1. September 2024

WONDERSTORY Die Türöffnerin

 

 


WONDERSTORY Die Türöffnerinnen

Ich besetzte in den siebziger Jahren eine Wohnung, die für mein Leben 25 Jahre lang Heimat werden sollte.

Der Anfang war leicht gemacht. Die Wohnung hatte ein halbes Jahr lang leer gestanden. Ich bewarb mich beim Eigentümer und bekam keine Antwort. Damals war es möglich, bei Leerstand von Wohnraum das Wohnungsamt einzuschalten und die Inbesitznahme anzukündigen. Der Mitarbeiter des Amtes gestattete die Besetzung und versprach, innerhalb von 24 Stunden für Strom, Gas und Telefonfreischaltung zu sorgen. Handys gab es damals noch nicht. Dann stand ich gemeinsam mit einem Nachbarn vor der Wohnungstür und nach kurzer Inspektion des Schlosses stand fest, wir mussten sie aufbrechen. Ich wohnte seit einem viertel Jahr im selben Haus als Untermieterin. Der Nachbar war erst ein viertel Jahr zuvor mit seiner Familie aus Anatolien kommend dort eingezogen. Er wusste noch nichts über das Haus, gar nichts über die Wohnung. Dennoch hielt er inne.

„Bist du sicher, dass du dort einziehen willst?“ fragte er mich unvermittelt und hielt in seiner die Tür eintreten wollenden Haltung innen.

„Ja“, antwortete ich knapp und nervös.

„Da ist jemand drin!“ bemerkte er sehr sicher.

Ich klingelte und er lachte.

„Nein, da ist ein Geist drin mit Kraft und Vorwurf und hält die Tür verschlossen. Weißt Du irgendwas über die Wohnung?“

Ich erinnerte mich, dass mir jemand erzählt hatte, dass zwei Schwestern in hohem Alter dort verstorben und erst spät entdeckt und herausgeholt waren. Ich erzählte ihm davon.

Plötzlich begann er türkisch zu reden, fest und beschwörend und fragend. Ab diesem Moment bemerkte auch ich die Kraft, es war wie eine bleierne Wand zwischen mir und der Wohnung, schwarz und schwer. Ich fühlte mich müde und begann auch zu sprechen. Ich erklärte, dass ich die Wohnung in Frieden nehmen wollte, dass ich sie brauchte, dass ich Salbei holen und sie räuchern wollte und dass, wenn sie mir etwas sagen wollte, sie es mir zeigen sollte. Ekrem und ich schauten einander an.

„Du sollst sie bitten! Um Einlass bitten. Du musst das tun, Du darfst nicht mit Gewalt rein. Ich werden die Tür nicht aufbrechen!“ Vollkommen ruhig und sicher schaute er mich an.

Die Situation schien so ernst, dass ich keine Wahl hatte. Mittlerweile stand Kiki, ein anderer Nachbar aus dem Haus neben mir und fragte grinsend, ob wir hier eine Session wegen der alten Schwestern abhielten. Er hatte mit Spirituellem gar nichts am Hut, dachte ich zumindest ist zu diesem Zeitpunkt.

„Ich soll um Einlass bitten“, erklärte ich ihm, sonst komme ich da nicht rein und Ekrem rührt keinen Fuß bevor ich das nicht mache.

Kiki lachte lauthals und brüllte ganz unverhohlen:

„OK, Mädels, lasst unsere Ute rein, sie ist eine Schwester von euch im Geiste der lesbischen Community und ihr hättet sie gemocht. Dass ihr gestorben seid, dafür kannse nun wirklich nischt!“

Es gab einen fürchterlichen Riss im Holz, es krachte unvermittelt laut und unter Bersten des Türrahmens gab das Schloss nach. Die Tür stand halboffen. Kiki grinste schief, Ekrem schaute ihn verstohlen von der Seite an, ich begann zu lachen und mir wackelten die Beine. Gemeinsam betraten wir die Wohnung, wirklich extrem unsicher und vorsichtig. Die Wohnung war auf altmodische Art vollkommen renoviert. Ochsenblutrote lackierte Dielen, abgezogener Terrazzoboden in Bad und Küche, neben der Kochmaschine lag frisch geschlagenes Holz zum Anbrennen, im Kohlenschrank am Ende des langen Flurs waren bis unter die Decke Briketts gestapelt. Die Kachelöfen waren mit schmiedeeisernen Blechen umlegt, die Zimmer weiß getüncht, die Türen und Fenster cremeweiss lackiert, in der Küche blitze das Emaillebecken sauber und die Wanne im Bad stand auf Elefantenfüßen, in ihr konnte man zu zweit baden. In der Küche gab’s Tisch und Stühle derart, dass beim herausschieben zwei große Emaille Schüsseln sichtbar wurden, in denen Heiß abgewaschen werden konnte. Die Zimmer standen möbellos vor mir, einzig die Öfen gaben den Räumen eine Atmosphäre.

Die Küche war hellgelb gestrichen, mit einer Wickeltechnik gemustert. Blumig. Ekrem schaute ehrfürchtig. Kiki erinnerte sich, dass die beiden Schwestern noch kurz vor ihrem Ableben zwei Maler im Haus hatten und dass es damals unheimlich nach Farbe gerochen hatte.

„Du, die haben Dir die Hütte bezugsfertig gemacht, da bin ich mir sicher.“

Kiki hatte von uns dreien am wenigsten falschen Respekt, das wurde deutlich.

Die Wohnung war perfekt. Kiki machte sich daran, den Holzspalt im Türrahmen zu flicken und Ekrem und ich holten meine wenigen Möbel aus der Untermietwohnung heraus. Kikis schaute sich die Wohnung an und erzählte uns, dass die beiden Damen beide bis ins hohe Alter als Journalistinnen gearbeitet hatten. Ob sie wirklich Schwestern gewesen wären, hatte niemand so recht geglaubt. Sie hatten sehr zurückgezogen gelebt.

Der Geist der Beiden Vormieterinnen blieb bis zum Schluss meines Lebens dort am Ort meine Begleitung. Sie waren ein Teil der Geschichte dieser Räume und sie blieben in irgendeiner Form da und machten sich ab und an bemerkbar. Immer wenn etwas umfiel oder knackte, dann erinnerte ich mich an sie und sagte:

„Ach ja, ich vergaß, die beiden Schwestern möchten auch etwas dazu sagen.“ Dies wurde eine stehende Redewendung von mir.

Erst fünfzehn Jahre später zogen Heizungen und Doppelfenster in die Räume. Die Kochmaschine wich nach zehn Jahren einem Gasherd. Ich hatte gelernt mit Holz und Eierkohlen zu kochen und zu backen und meine Wäsche in einem großen hellblauen Emaille Topf auf dem gefeuerten Ofen zu waschen. Außerdem wuschen wir noch fünfzehn Jahre lang im Waschsalon. 1983 kaufte ich mir meine erste Waschmaschine. Die beiden Schwestern tanzten auf ihr. Da bin ich mir ganz sicher, denn die Maschine donnerte und krachte nur beim allerersten Schleudergang.

Es ist gut zu wissen, dass unsere Räume auch immer einen Teil von uns tragen und weitergeben werden. Die Schwestern winkten mir noch lange nach, als der letzte Möbelpacker aus der Wohnung getreten war und ich mit zwei Freundinnen im Auto wegfuhr.

 


 

6 Kommentare:

  1. Was für eine zauberhafte und spannende Geschichte!!! Und wieder so fesselnd erzählt. Obwohl ich mir alles - dank deiner genialen Beschreibung - vorstellen kann, hätte ich liebend gerne Bilder von dieser entzückenden Wohnung gesehen ☺️ Danke für's Erzählen, liebe Ute 😘

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Hanne, das ist genau die Zeitreise, wie benannt, damals habe ich kaum fotografiert, da war ich 25 Jahre alt, da hatte ich eine Agfa Analoge ganz normale gute Kamera, mit Belichtungsmesser in der einen Hand und der Kamera um den Hals. Da gibt es einige Fotos, von Festen, aber da sind diese ganzen Zeit Fenster Geräte nicht drauf, das hat eine damals nicht gemacht, den Cafe, die Küchenmaschine,die Öfen zu fotografieren, es sei denn sie war Malerin oder Fotografin. aber danke fürs treue und zuverlässige Vorbeischauen und Kommentieren und auch fürs Kompliment, sehr herzlich Ute

      Löschen
  2. Huii das war eine spannende Geschichte und du kannst so prima erzählen. Was du alles erlebt hast.... das macht dein Leben aus!
    Lieben Gruss Elke

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja Elke, wir haben alle unsere Leben mit ihren Lebensjahren... lliebe Grüße Ute, danke fürs Würdigen

      Löschen
  3. Wunderbare Geschichte und eine kleine Zeitreise, Danke 🤍

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke für das Wort ZEITREISE...stimmt, und danke fürs Kommentieren, liebe Grüße Ute

      Löschen