Dienstag, 8. August 2023

Die rote Lady

 




Die rote Lady

 

Ich erschrak fürchterlich und bangte um beides, meine Hand und den Fotoapparat.

Dabei hatte ich die Linse nur ganz vorsichtig ans Gitter gedrückt, um ihr Konterfei ohne Störung auf dem Bild zu haben. Aber ich hatte nicht mir ihrer Schnelligkeit und Gewandtheit gerechnet. Ich hatte gar nicht mit irgendwas gerechnet. Und jetzt hatte sie ihre langen Finger durch mehrere Gitterlöcher hindurch um mein Handgelenk gefasst und hielt meine Hand und den Fotoapparat fest. Ich war gefangen in ihrer Geschmeidigkeit, die sich erbarmungslos an mir festklammerte. Jede Bewegung meinerseits hätte zur Folge gehabt, dass die Kamera zu Boden gefallen wäre und ich bestimmt schmerzhafte Spuren auf der Hand behalten hätte. Sie hielt beharrlich fest und schaute mich dabei eindringlich an. Als ich schrie, schrie sie auch. Ihr Schreien bedrohte alle meine Alarmsinne. Mörderisch. Was wenn sie beißen würde?! Ich stand ganz alleine am Gehege. Es war noch früh am Morgen und meine Morgenrunde verlief heute durch den Zoo.

Ich versuchte ganz vorsichtig eine drehende Bewegung zu machen. Keine Chance. Der Griff wurde fester. Jetzt begann sie mit ihrer Schnute die Linse zu begutachten. Oh nee, bitte nicht die Kamera zerbeißen oder anfressen. Meine Gedanken und Gefühle blieben außer mir, unkontrolliert. Eine nie dagewesene Situation. Wann hätte je eine Orang-Utan Dame mit mir persönlich direkten Kontakt aufgenommen. Ich war wirklich grade kurz vorm Durchdrehen, als ich einer Eingebung folgend alles losließ. Ich hielt die Kamera weiter, aber ließ alles locker und atmete ruhig. Ich schaute die hellrote Schönheit an und begann in ihren Augen zu versinken. Ich war sowieso verloren, gegen sie gab es keine Kraft, nur die Bewunderung ihrer Anmut, ihrer Stärke und dem Willen zum unbedingten Kontakt.

Nie wieder würde ich körperlichen Kontakt mit einer Orang-Utan Dame haben. Ich versuchte ein Gefühl wahrzunehmen, das außerhalb meiner Angst existierte, nämlich, wie fühlt sich ihre Hand auf meiner an. Fest, dabei zart im Hautkontakt, zierlich in der Bewegung, etwas lederig direkt am Gelenk. Wenn ich die Gefahr der Stärke überging, war da einfach Wärme und Sicherheit. Schön. Grade als ich es zu genießen begann, trat sie zurück. Ehe ich bemerkte, dass sie losgelassen hatte, vermisste ich ihre Nähe. Bedauernd schaute ich sie an. Erleichtert nahm ich die Kamera aus der Berührungszone.

An meiner Hand war kein Makel, keine Schramme, nichts wies auf diesen Zwischenfall hin.

Ich bedankte mich still fürs Loslassen, fürs Festgehalten worden sein, für die Freiheit und für ihre Anwesenheit.

Sie schwang sich plötzlich wieder ans Gitter direkt vor mich hin und lehnte ihre eine Hand flach ans Gitter. Erst zögerte ich. Dann hielt ich meine Hand flach dagegen. Sie schrie laut auf und schaute unverwandt auf unsere Hände. Dann nahm ich meine vorsichtig weg und verabschiedete mich. Ich würde sie nicht fotografieren, niemals. Ich müsste sie malen. Ich müsste ihre Hand malen. Das wäre das Äußerste.

Ich war den ganzen Tag erfüllt von dieser Begegnung.

Am nächsten Tag lief ich wieder zum Käfig. Sie war nirgends zu sehen. Auch im Affenhaus fand ich sie zuerst nicht. Dann plötzlich sprang sie aus einem Korb, rannte zur Scheibe und warf ihre Hände ans Glas. Ich begann zu weinen, lief ebenfalls zur durchsichtigen Wand und hielt meine Hände gegen ihre.

Seither haben wir über viele Wochen einen grade zu liebevollen Kontakt gehalten. Ihre Gegenwart hat mich viel Freude im Kontakt mit einer Affendame gelehrt. Manchmal bringe ich ihr ein Eis mit, sie ist ein Schleckermaul. Ich hatte einmal eines für mich gekauft und aß es beim Herantreten an die Voliere. Sie schob einige Finger durch zwei Löcher und ich wusste, ich müsste es ihr reichen und tat es. Sie nahm es ganz vorsichtig und verspeiste es voller Inbrunst. Eis und Bananen liebt sie sehr. Meine Mutter schrieb das Gleiche vor 66 Jahren in mein Fotoalbum. Ute liebt Bananen und Eis.

Ich finde im Zoo die Küche für die Affen immer total lecker, appetitlich und toll. Ihre Nahrungsmittel sind wie für mich gemacht.



Das ist für mich wohl eine einmalige besondere Freundschaft und irgendwie auch eine Liebe.

 


 

 

3 Kommentare:

  1. Wie wunder wunder wunderschön 😭 Fast hätte ich das Atmen vergessen.....Ich glaub', das ist bisher deine schönste Geschichte ❤️☺️ Vielen Dank 🙏🏻 Kannst du ihr bitte mal einen Gruß von mir ausrichten?

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  2. Liebe Ute,was für eine wunderschöne Geschichte.Zum Lachen und Weinen.Auch wie du sie so schön in Worte fassen kannst.Und das du in dieser Situation dann doch so ruhig bleiben konntest,bewundere ich sehr.Die Affendame wird dich bestimmt auch weiterhin sehnsüchtig erwarten.
    Deine Gedanken in "verspinne den Zank"haben mir auch sehr gut gefallen.Liebe Grüße Hilde



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  3. Wow... was für eine Begegnung erst mit dem Schrecken udn dann voller Liebe, das bist du Ute....
    Lieben Gruss Elke

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