Mittwoch, 7. Dezember 2022

Wonderstories Gedichte Schule Weihnachten Bildung

 




Eines meiner  liebsten Weihnachtsgedichte entdeckte ich im letzten Sommer während eines Besuches des Theodor Storm Museums. Mir ging es so, dass ich mich daran erinnerte, es als Kind gelesen und sogar hergesagt zu haben, aber jetzt in meinem Leben war es mir nicht mehr gegenwärtig.

Zuhause war es in meiner Kindheit üblich, dass wir Geschwister immer eine kleine Weihnachtsfeier ausrichteten. Es gab keinen Druck von den Eltern. Wir hatten in der Schule Traditionen durch alltägliches Tun gelernt und ich wollte unbedingt so etwas auch für Zuhause haben. Meine Geschwister waren mit Freude dabei, weil ihre Fähigkeiten gefragt waren. In unserer Grundschule sangen wir Weihnachtslieder, lernten Gedichte auswendig oder trugen sie ablesend vor. Immer an den Adventsmontagen versammelten sich alle Klassen im Treppenhaus und im Vorraum zum Rektoratszimmer hing ein großer Adventskranz mit wirklichen roten großen Kerzen, die der Rektor zuerst entzündete. Dann wurde ein Lied genannt und alle SchülerInnen sangen mit Leibeskräften oder zaghaft…egal, die Gemeinschaft trug dies, genauso wie den Text unterschiedlicher Weihnachtsgeschichten. (Ich liebe bis heute die Kinderbibel und die Abenteuer des Rübezahl.)

Dies war eine Schule in einem Problembezirk ohne ausdrücklich christlichen Hintergrund. Wir hatten Kunst und Musik, Singen, Chor, wir durften uns im Klassenzimmer bewegen, die Klassenstärke lag bei ca. 20 Kindern. Wir hatten einen Klassenlehrer und wir hatten Gemeinschaft. Lernschwache Kinder wurden von Lernstärkeren unterstützt, initiiert wurde dies vom Klassenlehrer in Absprache im Unterricht. Schulhefte und Bücher gab es umsonst, Lernmittelfreiheit war selbstverständlich. Noch heute habe ich Bücher, in denen steht, dass mir dies Buch vom Land Berlin übereignet wurde. Unsere Schulbücherei war sehr gut bestückt. Wir hatten einen großen Naturkunderaum, in dem es eine große Steine Sammlung gab. Dort habe ich gelernt zu mikroskopieren und Steine zu spalten, um ihren schatzhaften Kern zu erkennen. Wir gingen richtig in die Natur und lernten Blattformen und Bäume benennen.

Die Lehrer, die mich unterrichteten, gehörten nicht unbedingt zu meinen Freunden. Aber sie brachen mich nicht, sondern versuchten meine Lebendigkeit mit vielerlei Mühe zu regulieren. Ich durfte umhergehen, wenn mir danach war, eben mal die Blumen des Klassenzimmer gießen und dabei noch eine Rechenaufgabe lösen. Mein Lehrer sagte zu meinen Eltern, dass ich immer mit anderen Kindern um mich herum reden würde und damit andere Kinder auch abhalten würde vom Lernen. Aber mein Lernpensum und Wissen litten darunter nicht. Mein Vater antwortete ihm, dann sagen sie ihr das, sowas versteht sie. Ich musste dann zum Direktor und der erklärte mir das ganz freundlich und hörte sich meine Sorgen an. Ich fand nämlich, dass die Pausen viel zu kurz waren, um sich alles mitzuteilen, was so zu klären war. Er schlug mir vor, dies in meiner Klasse zu erörtern und zusammen mit dem Lehrer eine Lösung zu finden. Aber, das machte er mir deutlich, die 45 Minutentakte Unterricht wären unangreifbar. Und er fragte mich, ob ich Klassensprecherin werden möchte. Na klar. Na dann schlag Deinen MitschülerInnen auch dies vor. Das Ende dieser Geschichte: wer genau wie ich viel reden möchte, wir waren acht, bekamen die Möglichkeit zusammen mit unserem Klassenlehrer den Schulgarten aufzubauen und zu pflegen. Wir haben Ratten gejagt, Kürbisse gepflanzt, Mohrrüben und Petersilie angebaut und Blattsalat gabs auch. Wir hatten so viel zu tun und so viel Zeit zum Quatschen, himmlisch.

Endlich waren meine Kräfte gefordert und wurden gebündelt und ließen mich das Gefühl entwickeln mitwirken zu können und Verantwortung zu tragen. Meine Eltern wurden angehalten, mir den sehnlich erwünschten Hamster zu geben, damit ich auch für eine lebendiges Wesen Tier Verantwortung trüge.

Dies alles fand in einer gemeinen Volksgrundschule statt in einem Problembezirk mit materieller Armut und Bildungsferne in den Familien.

Die Zeit waren die Anfang Sechziger.

Geblieben sind mir Haltungen und Bücher und Kunst und Musik und Gemeinschaft und gerne Verantwortung übernehmen, mich einsetzen und gerne auch alleine sein, weil ja all dies grade im Alter auch trägt.

Wisst Ihr, wie es geht, Gedichte auswenige zu lernen? Sich mit dem Rhythmus des Gedichts im Raum bewegen und dabei zu klatschen. So habe ich Weihnachtsgedichte ebenso wie die Kraniche des Ibikus gelernt.

Verstanden habe ich die damals nicht, aber unser Heimatkundelehrer hat uns dazu die Geschichten erzählt. So hatte ich als Erwachsenen einen ganz anderen Zugang zur Poesie.

 

Und nun das Gedicht:

 

Vom Himmel in die tiefsten Klüfte

Ein milder Stern herniederlacht;

Vom Tannenwalde steigen Düfte

Und hauchen durch die Winterlüfte,

Und kerzenhelle wird die Nacht.

 

Mir ist das Herz so froh erschrocken,

Das ist die liebe Weihnachtszeit!

Ich höre fernher Kirchenglocken

Mich lieblich heimatlich verlocken

In märchenstille Herrlichkeit.

 

Ein frommer Zauber hält mich wieder,

Anbetend, staunend muss ich stehn;

Es sinkt auf meine Augenlider

Ein goldner Kindertraum hernieder,

Ich fühl`s, ein Wunder ist geschehn.

 ( Theodor Storm)

 

3 Kommentare:

  1. Was für eine berührende Geschichte, liebe Ute ☺️So kann es auch gehen in der Schule! Ich kann es mir so gut vorstellen, welches Kind du warst. Offen, fleißig, mitfühlend, gesprächig, wissbegierig.... .einfach eine Bereicherung für deine Umgebung 🥰 Und deine Freundinnen, Freunde und deine Familie sehen es bestimmt auch heute noch so 😊Vielen Dank für deine emotionale Story 😘Liebe Grüße vom grauen Frankenländle ✨💫🌟

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    1. Liebe Hanne, danke für Deine Worte und Deinen freundlichen Zuspruch. Herzlich aus Berlin

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  2. Danke für dein Erlebnis als Schulkind, ich schmunzelte das ist Ute wie sie lebt und lacht und redet!!!!
    Grüsschen zum 3.Advent Umarmung Elke

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