Dienstag, 2. Februar 2021

WONDERSTORIES/ Heute ist ein guter Tag zum Singen

 



Abends nach meinem Dienst sitze ich völlig überarbeitet in der U Bahn auf dem Weg Nachhause. Mein Kopf ist noch nicht in freiem Zustand, irgendwie out of Order. Alle Reaktionen nur intuitiv. Am Anfang sitzen ich alleine auf einer Viererbank. Es ist später Abend und normalerweise setzen sich in diesen Coronazeiten alle Menschen weit auseinander, Abstand eben.

 

An diesem Abend gestaltet es sich unerklärlicher Weise alles anders. Innerhalb kurzer Zeit sitzen eine völlig übermüdete Frau mit einem ebenso müden kleinem Mädchen mir zur Seite und gegenüber zwei Männer, Freunde, so um die Zwanzig und noch lange nicht müde, Ihr Abend scheint grade erst loszugehe. Ich wundere mich nur einen Moment lang über dies alles zu dicht.

 

In den U Bahnwaggons hängen mittlerweile überall  Monitore mit Werbung für Kino, Kunst digital und anderes. Plötzlich erscheint ein Hinweis auf einen Berliner Sender mit dem Hinweis auf KARAOKE und es erscheint ein Textblog von der Münchner Freiheit:

Ohne Dich kann ich heut Nacht nicht sein,

Ohne Dich fahr ich heut Nacht nicht heim,

ohne Dich komm ich heut nicht zur Ruh,

das was ich will, bist Du.

 

Ich beginne halblaut zu singen und bevor ich mich verhöre, singen die beiden jungen Männer mit, dann tönt es hinter der Maske der Mutter und wir singen immer lauter mit. Das Mädchen fängt im Rhythmus zu klatschen an.

Wir kommen fast lautstark ins Singen.

Dann sagt die Frau erschrocken:

„Mensch, wir dürfen doch nicht singen! Das kann tödlich enden!“

Einer der Männer pariert:

“Ich sterbe gerne fürs Musizieren!“

Ich antworte:

“ Wenn´s letzte ein Lied wäre, stürbe ich gerne dafür!“

Der andere Mann bemerkt halblaut:

“ Ich will gar nicht sterben, ich will singen.“

„Ach,“ erwidert die Frau, „wenn doch alles wieder gut wäre.“

 

Ich schaue die Kleine an und frage sie, ob sie ein Abendlied hören mag und schlage DER MOND IST AUFGEGANGEN vor. Alle singen sofort hellbegeistert los. Als wir die erste Strophe beendet haben, kommt es ohne Kontrolle aus mir heraus:

„Von guten Mächten wunderbar geborgen,

erwarten wir getrost, was kommen mag,

Gott ist bei uns am Abend und am Morgen,

und ganz bestimmt an jedem neuen Tag.“

 

Die letzten Zeilen sprach der eine Mann genau wie ich halblaut mit.

„Eine Abendandacht!“ sagt der andere Mann, „im feinsten Sinne!“

 

Beseelt verabschiede ich mich, steige aus und verstehe die Nähe, im feinsten Sinne.

 


 

 

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