Dienstag, 21. August 2018

Der kosmische Tanz vom Geben und Nehmen




verschenken
hergeben
loslassen
sich trennen von
reich beschenkt sein bei allem


In meiner Sommerpause hatte ich die Idee, mir meine Bücheregale vorzunehmen. Ich wollte aussortieren und neu ordnen. Das gleiche galt es mit dem Geschirr in meiner Küche zu machen. Ich habe viel und manchmal empfand ich es auch als ZU viel. Flohmarkt war keine Option, weil ich kein Auto mehr besitze.
Nachfragen bei den Antiquariaten hatten schon bei der Nachlassauflösung vor einem Jahr ergeben, dass Bücher nur noch schwer verkäuflich sind und selbst Erstausgaben im Wert auch vollkommen gesunken sind.
Für diese Fälle gibt es in Berlin die Selbsthilfeprojekte unterschiedlicher Träger. Die holen alles ab.
Dann hatte ich eine Idee, von der ich nicht wusste, wie sie in unserer Straße ankäme. Ich wohne in einem Bezirk mit Milieuschutz, was bedeutet, dass der Bezirk entschieden hat, die längst eingetretene Situation von Alters- und anderer Armut zu schützen. Vermieter bekommen klare Vorgaben bei Instandsetzung oder Mieterhöhungen und Kinderschutz ebenso wie Schutz für Frauen werden gesondert beachtet. Armut durch Migration ist Realität und erkannte Gefahr. Da dachte ich, Mensch ich stelle alles raus und verschenke es. Kistenweise. Jeden Tag eine Kisten morgens raus auf die Straße. Begünstigt wurde die Aktion durch eine Großbaustelle, die hüfthohe Betonklotze auf die Fußwege gestellt hatten, dort sollten die Kisten ins Auge fallen und einen bequemen Stöberplatz bieten.
Und so begann ich mit Küchenartikeln, Geschirr, Besteck, Gläser, Tassen, Kannen  und anderem.
Als ich die erste Kiste rausstellte, war ich aufgeregt und hatte mir vorgenommen, wenn es nicht geht, also niemand was nimmt, nehme ich abends alles wieder rein. Ich holte mir beim Biomarkt an der Ecke Kartons und begann. Mein einziger Auftrieb war, dass ich selber in Friedrichshain, Neukölln und Wedding solche Kisten schon entdeckt hatte und selber total gerne darin gestöbert hatte und auch immer etwas gefunden.
Die erste Kiste stand keine Stunde, da war alles weg. Für die Küche brauchte ich zum Sortieren und Durchsehen eine Woche, jeden Tag eine Kiste und ich hatte wieder eine Grundordnung in meinem Zuhause. Es blieb so, am Nachmittag spätestens war alles weg.
Dann kamen die Bücher. Da dachte ich noch, naja, vielleicht will das keine, wer weiß, ob das Internet nicht alles überlagert und niemand hier liest. Begünstigt wurde jedoch die Aktion dadurch, dass die fußgängerberuhigte Straße Durchgangsweg für zwei Hostels, ein Hotel und eine Fachhochschule ist.
Kurz und Gut die Bücherkisten verschwanden ebenso ratzfatz wie die Küchenkisten.
Manchmal beobachtete ich zufällig aus einem Fenster interessierte Menschen. Ich kann nur sagen, ich war abends immer total glücklich. Schenken ist einfach TOLL.


Vor kurzem dann kam ich grade aus der Haustür mit einer Bücherkiste, als ein Mann mit seiner kleinen Tochter den Rest der alten Kiste in seinen Rucksack packte. Erfreut lachte er auf.
„ Ach Sie stellen die ganzen Kisten raus. Das geht ja schon seit Wochen, habe sie überhaupt noch selber welche?“
 Ich konnte ihn beruhigen und erzählte davon, wie sich all dies eben in 63 Lebensjahren angesammelt hat. Dann schaute er in die neue Kiste und ihm wurde klar, dass er die Fahrradtasche leeren und in den Rucksack umpacken musste, um noch mehr mit zu nehmen. Dann fielen mir meine Kinderbücher ein und ich fragte das Mädchen, ob Sie auch gerne liest. Sie grinste und bejahte. Ich fragte ihn, ob sie mit hochkommen dürfte und ehe er antworten konnte, stiefelte sie schon in Zweitstufensprüngen nach oben.
So packten wir ihre Auswahl in einen alten kleinen Rucksack von mir und stolz stapfte sie zum Vater.
Dann kam die Mutter von´s  Ganze mit dem Auto vorgefahren. Mittlerweile hatte sich herausgestellt, dass sie drei Häuser weiter vor zwei Monaten eingezogen waren. In ihrem Gepäck hatte sie zwei Billiregale. Sie musterte mich verwundert.
„Sie stellen die Kisten raus? „
Ich mußte lachen:“ und sie brauchen deshalb Regale?“
 Beide lachten und bejahten.
„Wie lange geht das ungefähr noch so weiter?“ lautete ihre gemeinsame Frage.
„Es gibt noch ein paar Kinderbücher, aber die hat ihre Tochter schon reserviert. Bleiben noch ca. drei oder vier Kisten.“
Wir tauschten unsere Namen und Telefonnummern aus, besprachen, dass sie teilnehmen würden am Schließdient für den Spielplatz gegenüber und Zack gab es neue soziale Kontakte im Kiez und die brauchen wir immer.
Am Wochenende dann klingelte es abends. Vor mir stand die Familie mit vier ehemaligen Bücherkisten voll mit Äpfeln, ordentlich gelegt und getrennt zwischen Fall- und Pflückobst.
„ Wir haben die dreifache  Menge bei uns oben.“
Ich war völlig begeistert. Alle wissen um meine Liebe für Äpfel. So eine Apfelernte hatte ich allerdings noch nie vor die Tür gestellt bekommen.
„Vielleicht haben sie nächstes Jahr ja Lust uns bei der Ernte zu helfen?“
Na klar. Ihre Eltern besitzen einen Apfelhof in Werder. Und es ist selbstverständlich, dass alle Freunde und Familienmitglieder bei der Ernte helfen.
Wie ich so etwas nenne?
Das kosmische Gesetz vom Geben und Nehmen.
Und ich nenne das LEBENSFREUDE und GLÜCK und DEN HIMMEL AUF ERDEN.


5 Kommentare:

  1. Endlich! Deine Sommerpause ist vorbei. ;-)
    Ich bin soo gerührt und bewegt. Über so alles in Deinem Post. Ganz besonders schön, dass sich die Lütte aus deinem Regal die Kinderbücher aussuchen durfte/konnte. Das hat mein Herz berührt.
    Deine Erfahrungen und dies "in Kontakt" kommen, dass setzt gerade Impulse für das Lernen.
    Hab einen schönen Dienstag!
    Ahoi Oona

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    1. Danke für Deine Freude fürs Wiederkehren und auch für Deine Rückmeldung zum Post. Dir noch viel Freude beim IN KONTAKT KOMMEN...

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  2. Wie zauberhaft deine Geschichte doch ist! Und wie sich alles weiterentwickelt, wenn einmal am Rädchen gedreht wurde ☺️ Eine richtige Ute-Aktion! Wunderbar hast' die Sommerpause gefüllt - besser geht's nicht 😘

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    1. Nicht wahr, die Intuition und die Haltungen beim Handeln...und alles wird gut, danke fürs Lob. Noch schöne etwas kühlere Sommertage...mit guten Getränken und freundlichen Menschen...und NEW YORK steht noch auf der Wunschagenda...ich würde dort am liebsten mehrere Wochen einfach von Bezirk zu Bezirk latschen, fotografieren, quatschen, schreiben, Museen, Konzerthallen...meine fresse, soviel Kreditkarten gibts gar nicht...ich lache

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    2. 😄Ich spür' sie, deine NY-Begeisterung!!! Wunderbar - Begeisterung belebt ungemein! Ich freue mich jetzt schon auf deine Berichte & Fotos, wenn du mal in NYC bist 😎

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