Mittwoch, 27. Mai 2015

LESENDE FRAUEN





Lesende Frauen
Zugegeben, lesende Frauen können unterschiedlicher nicht sein. Diese Begegnung war schon eine der ausgefalleneren Art. Das Foto war heimlich entstanden, sie war so versunken, dass ans Merken nicht mehr zu denken war.
Ich pirsche mich langsam an sie heran.
„Was lesen Sie denn?“
„Det jeht sie doch aba sowat von jarnischt an“…sie blafft mehr als sie spricht. Kein Wunder. Ich habe sie aus Ihrer Versunkenheit gerissen.
Ich lache.
„Das stimmt. Aber ich finde, das Foto ist doch schön geworden.“ Ich zeige es ihr.
„Na det iss ja wohl det hinterletzte, mir hier heimlich zu fotografieren.“
Trotzdem schaut sie nochmal neugierig drauf.
„Aba elejant sehe ick da nich aus, oda?!“
„Nö, elegant würde ich das auch nicht nennen, aber liebenswert. So versunken. So als würden sie schon lange nicht mehr auf die Bahn warten, sondern, egal was passiert, bis zur letzten Seite vertieft bleiben.“
Sie legt das Buch auf ihren Schoss und schaut mich an.
„ Und wat machense jetzt mit den Foto?“
„Ich habe eigentlich vor, es auf meinen Blog zu setzen und einige Sätze zu dem Buch dazu.“
„Jebense mir die Blogadresse? Ick will det sehen.“
„Ja klar.“ Umständlich krame ich in meiner Tasche nach meiner Karte, wo ich die Adresse drauf schreiben will, da holt sie ihr Smartphone raus und bittet mich erneut um die Adresse. Sie schreibt sie in ihre Notizen. Schneller als ich ist sie auf dem Gerät in jedem Fall.
„Aba wat lesen sie denn jetzt?“
„Utta Danella…kennen sie die?“
„Na klar, die ist ja nun wohl weltberühmt.“
„Und habense schon wat von ihr jelesen?“
„Auch na klar. Als in Norwegen vor 20 Jahren nischt mehr zu lesen da war, und ich nach was Deutschsprachigem suchte, hatte ich die Wahl zwischen Bildzeitung, Konsalik und Utta Danella, da fiel die Wahl auf sie. Das war wirklich unterhaltsam, wie Fernsehen im Kopf.“
Ich erinnere mich leider keiner Detailles mehr und lenke um.
„Haben sie dann auch schon mal Rosamunde Pilcher gelesen?“
„Nee, det iss nun nich so meine Welt. Stellnse sich mich mal uffn Cottage vor, also det jeht doch ja nich und det kann nich mal icke mir vorstellen und denn ist det doof für mich, sowat zu lesen, wenn se mir verstehen.“
Ich muß so doll lachen, dass die Leute aus der letzten Strassenbahn zu uns schauen.
„Das stimmt, ich will mich auch mit dem Buch irgendwie identifizieren können.“
Plötzlich merke ich, wie wir in einer Blase sind und die Umwelt um uns verschwindet, obwohl wir nur über Bücher sprachen.
„Woher haben sie ihr Buch?“
„Ach wissense, ick wohne im Prenzlaua Berg, also wirklich noch ein Haus mit alte Mieter. Wir sind fünf Frauen, alle ins selbe Alta wa, wir lesen sone Bücher ruff und runter und leihen uns die untaeinanda aus. Und zum Schluss legen wa die uff die Mülltonne und icke sare ihnen, die vaschwinden ehe wir wegkieken, wa. Dat nehmen sich bestimmt die Jungen Frauen, die grade schwanger sind und och noch von bissken jutes Leben träumen…ja so wirtet wohl sein…“
Und dann zählt sie mir Autorinnen auf, deren Familiensagas anscheinend Weltruhm haben, die ich noch nie gehört habe und ich bin völlig hingerissen von den ganzen Parallelwelten und den Barbara Woods und wen weiß ich noch und ich denke, dass ich mir die mal anschauen werde, und dass es doch so toll ist, mit allen alten und jungen Frauen schon deshalb reden zu können, weil sie wie ich auch gerne lesen.
Am Ende finden wir noch heraus, dass wir beide die BRIGITTE DOOF finden und dass sie lieber Gala liest und manchmal auch die Happinez.
„Wie sind se den daruf jekommen?“Jetzt bin ich emotional schon vom Berlinern anjesteckt und verfalle darein.
„War ne Werbung innne Strickzeitschrift.“
Und dann erkennen wir unsere gemeinsame Liebe zum Handarbeiten und dass wir immer noch gerne Stricken und nähen und backen und kochen und dann sind wir voll die Weiber in keinem fremden Land mehr sondern in gemeinsamer Sozialisation.
Und dann bin ick so froh, det icke in Berlin lebe, also echt, da kannste  jenau sowat erleben…OKIDOKI Nachbarin, bis zum nächsten Mal.
Ach und das Buch hieß: Der Seerosenteich und es ist eine Familiensaga, hatse jesacht…

6 Kommentare:

  1. Hallo
    dein Eintrag, das Foto alles ist ein harmonsiches Zusammenspiels
    zwischen einem "Berliner Original" wie ich es mir als Österreicherin so vorstelle.
    Wie man sieht muss man nicht die gleichen Bücher lesen, doch irgendwie findet man eine gemeinsame Leidenschaft, wie in diesem Fall das "Handarbeiten" Übrigens ich finde es toll, dass diese lesende Frau ihr Bild posten lässt.
    Einen schönen Tag noch.
    "Begegnungen finden zwischen Menschen statt und nicht zwischen Interessenten."
    LG Sadie

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  2. Ick bin ja auch so ne lesende Frau *lach*. Es ist wirlich ein schönes Gespräch, ich hätte mich das nie getraut - als eigentliche Brandenburgerin- eine lesende Frau an zu sprechen. Aber toll was man da so erfährt. Ich find es auch immer interessant was die Frauen so lesen in dem Bus oder in der S-Bahn, dass ist doch eine schöne Beschäftigung wenn man lange fahren muss. Leider wird das Buch immer mehr zu Fastfood Produkt, in dem immer die selben Geschichten stehen und das nicht mehr viel mit (Weiter-)Bilderung zu tun hat. Vielleicht war da auch schon in meiner Kindheit so, wo ich noch dachte nur sehr gebildete Menschen lesen Bücher - meine Mitschüler fandes es jedenfalls sehr "uncool". Das ich ständig in der Bibliothek war und wir fünf Bücher die Woche holte und lass *lach*. Ach ja, lesen ist etwas schönes, es beflügelt die Phantasie.

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  3. Liebe Magierin,
    ein herrlicher Artikel, der mich schmunzeln liess und auch freuen, weil ich den Dialekt verstehen konnte ;-)... lesen verbindet, was mir als Leseratte immer wieder auffällt... Genial, dass diese Frau einverstanden war, dass du ihr Foto einstellst.
    Herzliche Grüsse, Sichtwiese

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  4. Hahaha... herrliches Erlebnis! Ich lese auch gerne mal "unterwegs" was, habe oft eins meiner Bücher mit dabei und würde auf so´nem Foto auch nicht grade elegant aussehen *grins*
    Toll, daß ihr so spontan ins Gespräch gekommen seid, sind oft die interessantesten Menschen, die man so kennenlernt!
    Liebe "Jrüsse"
    Petra - greenwoman

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  5. ick saaach ma so: ick bin oooch grad in berlin, enkelhüten.........und ick könnte bände schreiben.........wenn ick zeit hätte.
    aber eenz iss janz sicher: berlin iss anjenehmer als hamburch, wo et doch mal umjedreht war.
    ick schaff bestimmt oooch noch nen eintrach über berlin
    deinen findick obercool
    m.

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  6. Ich hoffe, daß Du noch viele lesende Frauen entdeckst! Und....dass sich daraus so amüsante Geschichten entwickeln :)

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