Samstag, 9. August 2014

WONDERSTORY Die Türöffner Wohnungsgeister







WONDERSTORY Die Türöffner
Ich besetzte in den siebziger Jahren eine Wohnung, die meine Entwicklung ein viertel Jahrhundert lang beheimaten sollte. Der Anfang war leicht gemacht. Die Wohnung hatte ein halbes Jahr lang leer gestanden. Ich bewarb mich beim Eigentümer und bekam keine Antwort. Damals war es möglich, das Wohnungsamt einzuschalten und die Inbesitznahme anzukündigen. Der Mitarbeiter des Amtes gestattete die Besetzung und versprach, innerhalb von 24 Stunden für Strom, Gas und Telefonfreischaltung zu sorgen. Handys gab es damals noch nicht. Dann stand ich gemeinsam mit meinem Nachbarn vor der Wohnungstür und nach kurzer Inspektion des Schlosses stand fest, wir mussten sie aufbrechen. Ich wohnte seit einem viertel Jahr im Haus als Untermieterin. Der Nachbar war erst ein viertel Jahr zuvor mit seiner Familie aus Anatolien kommend dort eingezogen. Er wusste noch nichts über das Haus, gar nichts über die Wohnung. Dennoch hielt er inne.
„Bist du sicher, dass du dort einziehen willst?“ fragte er mich unvermittelt und hielt in seiner die Tür eintreten wollenden Haltung innen.
„Ja“, antwortete ich knapp und nervös.
„Da ist jemand drin!“ bemerkte er sehr sicher.
Ich klingelte und er lachte.
„Nein, da ist jemand drin mit Kraft und Vorwurf und hält die Tür verschlossen. Weißt Du irgendwas über die Wohnung?“
Ich erinnerte mich, dass mir jemand erzählt hatte, dass zwei Schwestern in hohem Alter dort verstorben und erst spät entdeckt und herausgeholt waren. Ich erzählte ihm davon.
Plötzlich begann er türkisch zu reden, fest und beschwörend und fragend. Ab diesem Moment bemerkte auch ich die Kraft, es war wie eine bleierne Wand zwischen mir und der Wohnung, schwarz und schwer. Ich fühlte mich müde und begann auch zu sprechen. Ich erklärte, dass ich die Wohnung in Frieden nehmen wollte, dass ich sie sie brauchte, dass ich Salbei holen und sie räuchern wollte und dass, wenn sie mir etwas sagen wollten, sie es mir zeigen sollten. Ekrem und ich schauten einander an.
„Du sollst sie bitten! Um Einlass bitten. Du musst das tun, Du darfst nicht mit Gewalt rein. Ich werden die Tür nicht aufbrechen!“ Vollkommen ruhig und sicher schaute er mich an.
Die Situation schien so ernst, dass ich keine Wahl hatte. Mittlerweile stand Kiki neben mir und fragte grinsend, ob wir hier eine Session wegen der alten Schwestern abhielten. Kiki war mein anderer Nachbar und er hatte mit Spirituellem gar nichts am Hut, dachte ich zumindest ist zu diesem Zeitpunkt.
„Ich soll um Einlass bitten“, erklärte ich ihm, "sonst komme ich da nicht rein und Ekrem rührt keinen Fuß bevor ich das nicht mache."
„OK, Mädels, lasst unsere Ute rein, sie ist eine Schwester von euch und ihr hättet sie gemocht. Dass ihr gestorben seid, dafür kannse nun wirklich nischt!“
Es gab einen fürchterlichen Riss im Holz und unter Bersten des Türrahmens gab das Schloss nach. Die Tür stand halboffen. Kiki grinste schief, Ekrem schaute ihn verstohlen von der Seite an, ich begann zu lachen und mir wackelten die Beine. Gemeinsam betraten wir die Wohnung, wirklich extrem unsicher und vorsichtig. Die Wohnung war auf altmodische Art vollkommen renoviert. Ochsenblutrote lackierte Dielen, abgezogener Terrazzoboden in Bad und Küche, neben der Kochmaschine lag frisch geschlagenes Holz zum Anbrennen, im Kohlenschrank am Ende des langen Flurs waren bis unter die Decke Briketts gestapelt. Die Kachelöfen waren mit schmiedeeisernen Blechen umlegt, die Zimmer weiß getüncht, die Türen und Fenster cremeweiss lackiert, in der Küche blitze das Emaillebecken sauber und die Wanne im Bad stand auf Elefantenfüßen, in ihr konnte man zu zweit baden. In der Küche gab’s Tisch und Stühle derart, dass beim herausschieben des Tisches zwei große Emaille Schüsseln sichtbar wurden, in denen gewaschen werden konnte. Die Zimmer standen möbellos vor mir, einzig die Öfen gaben den Räumen eine eigene Atmosphäre.
Die Küche war hellgelb gestrichen, mit einer Wickeltechnik gemustert. Blumig. Ekrem schaute ehrfürchtig. Kiki erinnerte sich, dass die beiden Schwestern noch kurz vor ihrem Ableben zwei Maler im Haus hatten und dass es damals unheimlich nach Farbe gerochen hatte.
Die Wohnung war perfekt. Kiki machte sich daran, den Holzspalt im Türrahmen zu flicken und Ekrem und ich holten meine wenigen Möbel aus der Untermietwohnung heraus. Meine alte Vermieterin schaute sich die Wohnung an und erzählte uns, dass die beiden Damen beide bis ins hohe Alter als Journalistinnen gearbeitet hatten. Ob sie wirklich Schwestern gewesen wären, hatte niemand so recht geglaubt. Sie hatten ein zurückgezogenes Leben gelebt, sechzig Jahre lang hatten sie dort gewohnt. Frau Marx erzählte und mit ihren auch schon neunzig Jahren hatte sie die ganze Geschichte des Hauses im Gepäck.
Der Geist der beiden blieb bis zum Schluss meines Lebens dort am Ort meine Begleitung. Sie waren ein Teil der Geschichte dieser Räume und sie blieben in irgendeiner Form da und sie machten sich ab und an bemerkbar, und immer wenn etwas umfiel oder knackte, dann erinnerte ich an sie und sagte:
„Ach ja, ich vergaß, die beiden Schwestern möchten auch etwas dazu sagen.“ Dies wurde eine stehende Bemerkung von mir.
Erst fünfzehn Jahre später zogen Heizungen und Doppelfenster in die Räume. Die Kochmaschine wich nach zehn Jahren einem Gasherd. Ich hatte gelernt mit Holz und Eierkohlen zu kochen und zu backen und meine Wäsche  in einem großen hellblauen Emaille Topf  auf dem gefeuerten Ofen zu waschen. Wir wuschen noch fünfzehn Jahre lang im Waschsalon. 1983 kaufte ich mir meine erste Waschmaschine. Die beiden Schwestern tanzten auf ihr. Bis zum Schluss schepperten sie beim Schleudergang auf ihr herum.
In meiner neuen Wohnung lebte von Anfang an ein Geist, deren Menschengestalt ich noch erleben durfte. Ich ziehe anscheinend immer in Wohnungen, in denen die Vormieter verstorben sind. Diesmal hatte ich beide Mieter noch kennen und schätzen gelernt.
Es ist gut zu wissen, dass unsere Räume auch immer einen Teil von uns tragen und weitergeben werden. Die Schwestern winkten mir noch lange nach, als der letzte Möbelpacker aus der Wohnung getreten war und ich mit zwei Freundinnen im Auto wegfuhr.



5 Kommentare:

  1. WONDERbar :) So eine schöne Geschichte! Diese Wohnung hätte ich gerne mal kennen gelernt. Danke für's mitteilen.....

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  2. Es kommt ja nichts einfach so :O)
    Wo ich mich gerade mit Wohnungen, meinem inneren und äußeren Zuhause beschäftige und mit Raum/Körper. Bewohnen.
    Danke für diese sehr beeindruckende und mich berührende Geschichte, Ute. Was für ein Glück in so einer Wohnung wohnen zu dürfen. Schön.

    Als ich nach 11 Jahren aus meiner alten Wohnung "flüchtete", wegen der neuen Nachbarn und wegen der Hellhörigkeit, fand ich eine Wohnung ein paar Straßen weiter.
    Ich bat eine Schamanin sich die Wohnung "anzugucken" und tatsächlich machte es Sinn sie zu "reinigen". Eine schöne Reiniung mit Freundinnen. Mein erster Eindruck bei den Nachbarn... mit denen ich bisher und wohl nicht mehr warm geworden bin. Die seltsame Frau Oona.

    Obwohl ich bis heute - fast 8 Jahre später - in dieser Wohnung einfach nicht "ankomme", so habe ich weiterhin das Gefühl, dass sie "sauber" und "klar" ist.
    Gerade frage ich mich, ob das u.a. des Pudels Kern ist. Die Wohnung wurde 30 Jahre von einer Dame bewohnt, die am Ende über 90 war und immer noch im 2. OG wohnte. Danach wurde die Wohnung kernsaniert. Bis heute habe ich das Gefühl, dass sie lieblos ist. Die alte Wohnung hatte am Anfang alte Fenster und das Bad. Ich war frei zu malern und zu bohren und zu gestalten. Die Küche mit Holzmöbel. Eine ruhige Wohngegend!
    Jetzt habe ich eine EBK, die grauer und langweiliger nicht sein kann. Der Vermieter hielt mir einen langen Vortrag, was ich in der (schlecht) neusanierten Wohnung - unter Androhung alles "beschädigte" zahlen zu müssen - alles nicht darf. Leider lasse ich mich sehr schnell einschüchtern. Eine Freundin sagte: Du zahlst Miete. Du wohnst hier. Abnutzung ist normal.

    Hm... nach dem ich gerade Deine wunderbare Geschichte gelesen habe,. bin ich noch etwas mehr überzeugt, dass ich nach einem neuen Zuhause suchen möchte. Ich habe mich verändert. Ich hoffe, ich ziehe gute Energien an. Daran schicke ich seit gestern R*eiki. Welche nicht wagt, die nicht gewinnt ... *lächel*

    Beste Grüße nach Berlin
    Oona

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    1. Liebe Oona, klar, vielleicht ist umziehen eine Version. Vielleicht ist Würdigen von der Geschichte der Wohnung auch eine.Du ziehst ja grade auch um innerhalb Deiner Zimmer. Vielleicht passen andere Räume besser zu anderen Tätigkeiten.Ich glaube schon, dass es auch verfluchte Räume gibt, aber selbst dies Verfluch kann in ein ich fluche und suche gewandelt sein.Ich hatte nur die Wahl, anzunehmen oder mich umzudrehen.Gutes wagen und gelingen DIR, herzlich ute aus BÄRlin

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  3. eine tolle Geschichte aus deinem Leben und die sist ein klein Od für die Seele, vielleicht ist es so dass du so was anziehst das wird dein Wesen sein diese Art Mensch der auch zwischen Töne hören und fühlen kann.. diese Schwingungen sind was positives finde ich wenn man wie du es auch so an sieht und nciht erschreckt davor..
    Lieben Gruss Elke

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    1. Liebe Elke,
      Du hörst ja auch, in diesem Sinne gute TÖNE am Wochenende, l.g.Ute

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