Sonntag, 31. August 2014

SEHNSUCHT U-Bahnstories





U Bahn Stories
Mittags in der U2. Die Fahrtrichtung Kreuzberg Friedrichshain. Die Mischung des Fahrpublikums ist Berline like. Kein Meltingpot wie New York, wo alle Amerikaner sind und sein wollen. Hier sind nicht alle Berliner, die Berliner sind zu wenige geworden, und wirklich Deutsche wollen auch nicht alle sein.
Mir gegenüber sitzt eine Frau mit drei Söhnen.
Italiener. Touristen. Unvermittelt beginnen die beiden jüngeren Söhne an den Haltestangen zu turnen an. Das Gestänge biegt sich und die beiden Turner fühlen sich unheimlich toll und werden immer ungestümer.
Plötzlich schwingt sich eine deutsche Stimme kerzengrade durch die Luft:
„Das sind nun wirklich keine Turnstangen sondern Haltegriffe! Und hier sitzen noch mehr Menschen als nur Sie.“
Das Ausrufezeichen steht stock und steif und deutsch grade zu preußisch im Raum. Eine Schulklasse vor vierzig Jahren hätte vielleicht grade gesessen.
Da erst sehe ich ihn, den Preußen. Er scheint weit über  70 Jahre zu sein. Schlohweiße Haare. Vorher habe ich ihn gar nicht bemerkt. Ohne Stimme unscheinbar im wahrsten Sinne des Wortes. Wie ein alter Volksschullehrer in den frühen sechziger Jahren sieht er aus. Ein beiger Sommeranzug aus Trevira, dazu gebrochene dunkelbraune Altherrenledersandalen, gebrochenes Leder, sockenlos, ein weißes Sommerhemd mit offenem Kragen. Am Revers des Jacket eine kleine Anstecknadel. Ich erkenne die nicht. Ich frage mich, wie so oft, ob er eher Ostler oder Westler ist. In beiden Systemen wurde Anstand und angepasste ordentliche Erziehung gefordert. Einiges an ihm lässt mich schwanken zwischen meiner Abneigung  und gleichzeitigem Respekt vor ihm. Was mich für ihn einnimmt, er liest die Berliner Zeitung, auf seinem Schoß liegt die TAZ. Nicht ganz sympathisch ist mir seine unverbindliche Strenge. Für ihn sprechen seine wachen Augen, die immer wieder ohne Verbitterung oder Zorn zu den Jungen gleiten. Er schaut eher interessiert und neugierig.
Die beiden Turner lassen sich leise über ihn aus. Die Mutter wirkt unberührt tolerant, und insgesamt steckt die Familie den Zwischenfall locker weg. So richtig verstanden haben sie sein Ansinnen nicht.
Ich beobachtete den Herren weiter aus den Augenwinkeln. Ich bleibe an seinem Abzeichen hängen.
Endstation. Ich sitze, um in Ruhe aussteigen zu können. Gleichzeitig stehen wir an der Tür. Ich frage ihn nach der Nadel. Er schaut mich offen an und ein großes Lachen geht über sein Gesicht. Sein Lachen ist eines, das mir  den ganzen Tag schenkt.
60 Jahre Mitgliedschaft bei der IG Metall. Das ist die Anstecknadel.
Er ist Berufsschullehrer, seit seiner Jugend als Metaller unterwegs. Ein stolzer Gewerkschaftler der alten Schule.
Draußen vor dem U Bahneingang stoßen wir auf einen Informationstand von Greenpeace. Er lässt sich ansprechen, in ein Gespräch verwickeln. Von jungen Menschen. Ich beobachte ihn weiter.
Ich frage ihn, warum er die Jungen so harsch angeraunzt hat.
Einen Moment lang sinnt er nach.
Er redet von fehlender Rücksichtnahme, von verlorenem Respekt zwischen allen Generationen, von seinem Wunsch nach gegenseitiger Rücksichtnahme und von der großen Sehnsucht nach Aufmerksamkeit zwischen Allen.
Er überzeugt mich mit seiner ruhigen und absichtslosen Stimme.
Ich frage ihn nach Ost- oder Westsozialisation.
Westen, aber immer Sympathien für den Osten.
Das finde ich wieder sympathisch.
Wir stellen einander vor. Er ist für mich ein altes Stück Vergangenheit, das grade vergeht. Ich möchte es noch einen Moment halten. Und verweile einfach noch einen kurzen Moment neben ihm.
Wir gehen in verschieden Richtungen in die Welt.




4 Kommentare:

  1. Ein sehr gutes Gespräch zwischen euch was sie denken und fühlen und doch das dich anlachen und das offen sein jeder seine Meinung auch jeder hat seine eigene kleine Welt die Erfahrungen geschöpft haben!
    Ein toller Beitrag liebe Ute...ich mag das wenn du erzählst von solchen Begegnungen!
    Lieben Gruss Elke
    Lieben Gruss Elke

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  2. Wie gut, dass sich das so auflöste.

    Es ist schwierig, wenn eine heute was in den Straßenbahnen sagt. Sofort ist eine intolerant, herrisch oder blöd. Gar Kinderfeindlich. Interessante Sichtweisen, oder?
    Wenn ich die Frau aufmerksam mache, dass ihr Kind nicht auf dem Podest zwischen den Sitzen sitzen sollte, weil es bei plötzlicher Bremsung der Bahn ungehindert durch eben diese fliegt, da werde ICH angepöbelt.
    SIe vernachlässigt ihre Obacht für das Wohl des Kindes und ich bin kinderfeindlich. Is klar!
    Sie können sich setzen, wo sie wollen.
    Nein. Und schon gar nicht, wenn das Kind der vorderen Person in den Rücken knallt. Der tiefere Sinn von Sitzen in der Bahn ist es sich zu setzen.
    Die Gedankenlosigkeit der Menschen macht mich wütend und traurig.
    Grüße
    Oona

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  3. Was für ein wunderbarer Beitrag! Und wie schön, daß Du Dir mit Deiner "Beurteilung" dieses doch sehr angenehmen Menschen Zeit gelassen hast....
    Liebe Grüße v. Martina aus HH

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  4. RE :
    DANKE für die Erinnerung unter meinem Post!
    Grüße nach Berlin
    Oona

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