Sonntag, 30. März 2014

GESANG





GESANG

Der Gesang der Schwäne in der frühen Morgendämmerung ließ mich hellhörig werden. Die Sonne fuhr mit fahrigen Strahlen über den Nebel des Fjordes.
Der Kaffee dampfte und schmeckte mir köstlich. Barfuß streunte ich über die vom Morgentau feuchten Holzbohlen der Terrasse und genoss den großzügigen Blick über das Wasser. Die kleinen Fjordinseln ahnte ich nur, so diesig zog die Luft ins Land. Die Ruhe trug alle Töne übers Wasser. Das Meer reichte seine Stimme an den Strand. Ich gab mich ganz hin, so wie die Natur es mir vormachte. Mühelos.
Bis zum Nachmittag verbrachte ich gedankenlos einen erholsamen Ferientag. Frühstückte, schwamm im offenen Meer, suchte Muscheln, zählte Kieselsteine in die Hand und streute Brotkrumen für die Meerammer. Für den Nachmittag hatte ich mir aus dem Björklevet, dem Birkenblättchen, einem ortsanhängigen Wochenblatt einen Termin herausgesucht. Ein Kulturmarkt, alljährlich die Attraktion, die Ferien- und ortsansässige Bewohner anzog. Dieses Mal sollte ein Volksmusikfestival die Attraktion steigern. Der Ort eignete sich hervorragend. Eine Steinarena bot nicht nur den Bühnen- sondern auch den Klangrahmen für dieses musikalische Ereignis. Ich kannte den Veranstaltungsort von den Besuchen in den Vorjahren. Theater- und Tanzveranstaltungen, alle kamen, Großeltern ebenso wie Kleine Kinder, Hühner und Ochsen liefen herum, Sommerfeste eben im schwedischen Land. Dazwischen traditionelles Essen, Smörrebröd und andere schwedische Spezialitäten. Immer dazwischen dieselben Menschen, man sieht und erkennt sich, redet ein sonniges Wort über Ferienzeit und einigt sich auf Café und Kekse und wunderbare Sahnetorten. Die Kindern Kunsthandwerken, ziehen Papier, schöpfen Leinen, fahren Kutsche und spielen mit den Tieren. Irgendwann kommt der Moment, ähnlich wie Weihnachten mit dem Glöckchen, da zieht es alle zur Bühne. Irgendjemand macht den Anfang. Es braucht keine Uhr oder Gong, der Zug setzt sich in Gang und alle wissen, es ist Zeit für die Aufführung und die Bühne. Die Reihen sind eng besetzt, die Kleinsten klemmen sich zwischen die Großen, niemand geht verloren oder wird abtrünnig. Alle sitzen mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit in der Runde, die letzten Kinder werden beruhigt und dann die Stille. Dieser Moment zwischen den Zeiten, den halten sie alle.
Die aufgeregte Spannung der Künstlerinnen sitzt in der freudigen Erwartung der Zuschauer. Der Zauber beginnt.
So auch dieses Mal. Die Gäste wurden begrüßt, die Künstler auch, eine große Ansammlung von Aufführenden scharrte sich um die Bühne und in die ersten Reihe. Der Wettbewerb maß sich an folgenden Merkmalen: Das Liedgut musste alt sein, es durfte nur auf alten Musikinstrumenten begleitet werden, Verstärker und moderne Medien waren nicht erwünscht. Es wurden Gruppen aus Island, Schweden, Norwegen, von den Lofoten und Finnland vorgestellt. Ohne dass darauf hingewiesen wurde, war klar, es durfte vor Begeisterung mitgesungen werden. Eines wird einem als Gast sehr schnell deutlich, die Schweden können den gesamten nordischen Kanon besingen, sie sind stimmfest und firm. Niemand kommt auf die Idee, er oder sie könne nicht singen. NICHTSINGEN ist KEINE Option. Mitsingen ist Lebensrecht. Wer wie ich des schwedischen nicht sicher ist, summt mit und wiegt sich. Dazu lädt die Menschheit ein.
Die Aufführungen wurden meist in Trachten vollführt, es gab schöne Einlagen, die Instrumente wurden zuweilen vorgestellt, so verging im Reich der Töne eine um die andere Einspielung.
Zuletzt sammelten sich die Färöer auf der Bühne.
Strenge Menschen mit kargen Gesichtsausdrücken, blass und ohne   Pathos. Sie führten Keine Instrumente mit, ihre Kleidung war einfach, als kämen sie grade vom Felde, bäuerlich schlicht, sauber. Wollwesten, Baumwolldrillich, unaufgeregte Farben, als wollten sie in ihrer Natur eintauchen ohne abzuweisen. Sie waren alle gekommen von den Inseln, sie singen alle zusammen in einem Chor, Woche um Woche Jahr um Jahr. Nur die, die beim Vieh geblieben sind, singen heute nicht mit. Stille. Zuerst eine Frauenstimme, klar getragen in den Himmel. Dann eine weitere Stimme, ein Mann, derselbe Text, dieselbe Tonart. Dieselbe Melodie, derselbe Text, ein Rhythmus, der sich zuerst unter den Sängerinnen und Sängern ausbreitet. Als alle das Lied in ihrem Gesang gebettet hatten, begannen sie sich zu bewegen, Männer und Frauen rechts oder links nebeneinander im Rhythmus, im Takt, Stufe um Stufe zum Publikum, nun auch im taktggleichem Schritt. Die Hände begannen zu klatschen, im Takt der Musik, als wollten sie den Taxt wahrhaftig gestalten.  So zogen von rechts die Frauen, von links die Männer im Gleichschritt und mit ihren Händen und Stimmen erhaben die Treppen auf die Arena und zu den Hörendenden hinauf. Ich weiß nicht, wer den Text kannte, ich erlebte nur, wie einer ums andere sich erhob und zu klatschen begann in dem Gleichklang mit dem Chor, der sich mühelos mindestens hundert Stufen und Reihen zum Himmel emporsang, gemeinsam mit jedem einzelnen innerhalb der Arena. Ich stand und zitterte und hatte keine Kontrolle über meine Impulse als die zu klatschen und die Tränen zu spüren, die aus tiefen Gründen aus mir herausfielen, eine Welle der Tiefe ins Weite ergriff uns, mich, die Singenden und die Hörenden und die Musiker der Vorspieler, alle erhoben sich im Gebet der Musik aus dem Choral der Färöer und die Einsamkeit der Inseln versank im Gleichklang der Welt mit den Seinen. Wir waren ein großer Chor, der in der Natur versank, sie erhöhte, sie in den Mittelpunkt stellte und uns hineinwarf ohne Abweisung der Seelen und die Herzen waren ein großes Herz der Menschheit in Demut zum Leben.
Als die Stimmen nach und nach zurücktraten, die letzte Stimme und das letzte Hand Paar verklang war Stille. Ein großes Amen. Da standen sie, die Färöer, erhitzte Gesichter, lebendige Gesichtszüge, leuchtenden Augen, große Herzen, wilde Hände, lebendige Menschen, die sich und uns selbst genug waren.
Es erhob sich ein Brausendes Toben, ein wildes Rufen, ein nicht enden wollender Beifall, niemand konnte sich mehr halten, und ich war nicht die Einzige mit tränenüberströmten Gesicht. Der Gewinner stand fest. Es war die Menschlichkeit von uns allen, von  den Färöern zum Himmelreich emporgehoben und dem Leben dargeboten, in aller Ehrfurcht und Demut.
Und ich erinnerte mich an den Gesang der Schwäne im Morgengrauen und an die Hellhörigkeit. Alle hörten wir hell heute.




4 Kommentare:

  1. Wundervoll <3 Die Art wie Du schreibst nimmt mich wirklich total mit.

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    1. Liebe AThena, danke Für Dein Lob. Lieber Gruß Ute

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  2. ach seufz was für eine bewegende rührende Geschichte!
    Dankeschön sage ich
    winke Fee

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    1. Liebe Grüße an WINKE FEE von Ute, die sich über die positive Rückmeldung bedankt und freut

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