GESANG
Der Gesang der Schwäne in der frühen Morgendämmerung
ließ mich hellhörig werden. Die Sonne fuhr mit fahrigen Strahlen über den Nebel
des Fjordes.
Der Kaffee dampfte und schmeckte mir köstlich. Barfuß
streunte ich über die vom Morgentau feuchten Holzbohlen der Terrasse und genoss
den großzügigen Blick über das Wasser. Die kleinen Fjordinseln ahnte ich nur,
so diesig zog die Luft ins Land. Die Ruhe trug alle Töne übers Wasser. Das Meer
reichte seine Stimme an den Strand. Ich gab mich ganz hin, so wie die Natur es
mir vormachte. Mühelos.
Bis zum Nachmittag verbrachte ich gedankenlos einen
erholsamen Ferientag. Frühstückte, schwamm im offenen Meer, suchte Muscheln,
zählte Kieselsteine in die Hand und streute Brotkrumen für die Meerammer. Für
den Nachmittag hatte ich mir aus dem Björklevet, dem Birkenblättchen, einem
ortsanhängigen Wochenblatt einen Termin herausgesucht. Ein Kulturmarkt,
alljährlich die Attraktion, die Ferien- und ortsansässige Bewohner anzog.
Dieses Mal sollte ein Volksmusikfestival die Attraktion steigern. Der Ort
eignete sich hervorragend. Eine Steinarena bot nicht nur den Bühnen- sondern
auch den Klangrahmen für dieses musikalische Ereignis. Ich kannte den
Veranstaltungsort von den Besuchen in den Vorjahren. Theater- und
Tanzveranstaltungen, alle kamen, Großeltern ebenso wie Kleine Kinder, Hühner
und Ochsen liefen herum, Sommerfeste eben im schwedischen Land. Dazwischen
traditionelles Essen, Smörrebröd und andere schwedische Spezialitäten. Immer dazwischen
dieselben Menschen, man sieht und erkennt sich, redet ein sonniges Wort über
Ferienzeit und einigt sich auf Café und Kekse und wunderbare Sahnetorten. Die
Kindern Kunsthandwerken, ziehen Papier, schöpfen Leinen, fahren Kutsche und
spielen mit den Tieren. Irgendwann kommt der Moment, ähnlich wie Weihnachten mit
dem Glöckchen, da zieht es alle zur Bühne. Irgendjemand macht den Anfang. Es
braucht keine Uhr oder Gong, der Zug setzt sich in Gang und alle wissen, es ist
Zeit für die Aufführung und die Bühne. Die Reihen sind eng besetzt, die Kleinsten
klemmen sich zwischen die Großen, niemand geht verloren oder wird abtrünnig.
Alle sitzen mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit in der Runde, die letzten Kinder
werden beruhigt und dann die Stille. Dieser Moment zwischen den Zeiten, den
halten sie alle.
Die aufgeregte Spannung der Künstlerinnen sitzt in
der freudigen Erwartung der Zuschauer. Der Zauber beginnt.
So auch dieses Mal. Die Gäste wurden begrüßt, die
Künstler auch, eine große Ansammlung von Aufführenden scharrte sich um die
Bühne und in die ersten Reihe. Der Wettbewerb maß sich an folgenden Merkmalen:
Das Liedgut musste alt sein, es durfte nur auf alten Musikinstrumenten
begleitet werden, Verstärker und moderne Medien waren nicht erwünscht. Es
wurden Gruppen aus Island, Schweden, Norwegen, von den Lofoten und Finnland
vorgestellt. Ohne dass darauf hingewiesen wurde, war klar, es durfte vor
Begeisterung mitgesungen werden. Eines wird einem als Gast sehr schnell
deutlich, die Schweden können den gesamten nordischen Kanon besingen, sie sind
stimmfest und firm. Niemand kommt auf die Idee, er oder sie könne nicht singen.
NICHTSINGEN ist KEINE Option. Mitsingen ist Lebensrecht. Wer wie ich des
schwedischen nicht sicher ist, summt mit und wiegt sich. Dazu lädt die
Menschheit ein.
Die Aufführungen wurden meist in Trachten vollführt,
es gab schöne Einlagen, die Instrumente wurden zuweilen vorgestellt, so verging
im Reich der Töne eine um die andere Einspielung.
Zuletzt sammelten sich die Färöer auf der Bühne.
Strenge Menschen mit kargen Gesichtsausdrücken,
blass und ohne Pathos. Sie führten
Keine Instrumente mit, ihre Kleidung war einfach, als kämen sie grade vom
Felde, bäuerlich schlicht, sauber. Wollwesten, Baumwolldrillich, unaufgeregte
Farben, als wollten sie in ihrer Natur eintauchen ohne abzuweisen. Sie waren
alle gekommen von den Inseln, sie singen alle zusammen in einem Chor, Woche um
Woche Jahr um Jahr. Nur die, die beim Vieh geblieben sind, singen heute nicht mit.
Stille. Zuerst eine Frauenstimme, klar getragen in den Himmel. Dann eine
weitere Stimme, ein Mann, derselbe Text, dieselbe Tonart. Dieselbe Melodie,
derselbe Text, ein Rhythmus, der sich zuerst unter den Sängerinnen und Sängern
ausbreitet. Als alle das Lied in ihrem Gesang gebettet hatten, begannen sie
sich zu bewegen, Männer und Frauen rechts oder links nebeneinander im Rhythmus,
im Takt, Stufe um Stufe zum Publikum, nun auch im taktggleichem Schritt. Die
Hände begannen zu klatschen, im Takt der Musik, als wollten sie den Taxt
wahrhaftig gestalten. So zogen von
rechts die Frauen, von links die Männer im Gleichschritt und mit ihren Händen und
Stimmen erhaben die Treppen auf die Arena und zu den Hörendenden hinauf. Ich
weiß nicht, wer den Text kannte, ich erlebte nur, wie einer ums andere sich
erhob und zu klatschen begann in dem Gleichklang mit dem Chor, der sich mühelos
mindestens hundert Stufen und Reihen zum Himmel emporsang, gemeinsam mit jedem
einzelnen innerhalb der Arena. Ich stand und zitterte und hatte keine Kontrolle
über meine Impulse als die zu klatschen und die Tränen zu spüren, die aus
tiefen Gründen aus mir herausfielen, eine Welle der Tiefe ins Weite ergriff
uns, mich, die Singenden und die Hörenden und die Musiker der Vorspieler, alle
erhoben sich im Gebet der Musik aus dem Choral der Färöer und die Einsamkeit
der Inseln versank im Gleichklang der Welt mit den Seinen. Wir waren ein großer
Chor, der in der Natur versank, sie erhöhte, sie in den Mittelpunkt stellte und
uns hineinwarf ohne Abweisung der Seelen und die Herzen waren ein großes Herz
der Menschheit in Demut zum Leben.
Als die Stimmen nach und nach zurücktraten, die
letzte Stimme und das letzte Hand Paar verklang war Stille. Ein großes Amen. Da
standen sie, die Färöer, erhitzte Gesichter, lebendige Gesichtszüge,
leuchtenden Augen, große Herzen, wilde Hände, lebendige Menschen, die sich und
uns selbst genug waren.
Es erhob sich ein Brausendes Toben, ein wildes
Rufen, ein nicht enden wollender Beifall, niemand konnte sich mehr halten, und
ich war nicht die Einzige mit tränenüberströmten Gesicht. Der Gewinner stand
fest. Es war die Menschlichkeit von uns allen, von den Färöern zum Himmelreich emporgehoben und
dem Leben dargeboten, in aller Ehrfurcht und Demut.
Und ich erinnerte mich an den Gesang der Schwäne im
Morgengrauen und an die Hellhörigkeit. Alle hörten wir hell heute.
Wundervoll <3 Die Art wie Du schreibst nimmt mich wirklich total mit.
AntwortenLöschenLiebe AThena, danke Für Dein Lob. Lieber Gruß Ute
Löschenach seufz was für eine bewegende rührende Geschichte!
AntwortenLöschenDankeschön sage ich
winke Fee
Liebe Grüße an WINKE FEE von Ute, die sich über die positive Rückmeldung bedankt und freut
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