Die
Karwoche mag ich sehr gerne.
Ich liebe
ihre Themen und die Ruhe.
Verrat,
Verbundenheit, Besinnung, Meditation, Fasten und Fastenbrechen,
Eierspeisen
statt Fleisch, Auferstehung, uns und andere ans Kreuz nageln und wieder
herunterholen, einander entdecken und wiederfinden.
Auferstehung
aus den finsteren Schatten unserer Selbst. Da sein ganz.
In diesem
Jahr hatte ich seit langem mal wieder das Bedürfnis, einen Tag lang im
Schweigen zu verbringen. Sprechen bewusst, aber erst einmal die Qualität des
Nicht Reden wollen. Ich wollte eine große Morgenrunde machen und die wuchs sich
auf 8 Kilometer aus und ich bekam naturgemäß Lust auf einen Kaffee. In meinem
alten Charlottenburg war schon vor längerem das Wiener Café verschwunden und da
ein anderes Motto in dieser Zeit ist, immer auf etwas ganz Neues zu vertrauen
und Fremdes einfach mal vorbehaltlos zu bejahen, suchte ich auf diese Weise
nach einem Ort für mein schwarzes Getränk. Ich landete in der Kaiser Friedrich Straße
und stand vor einem unscheinbaren Café. Klein, in der Sonne gelegen, nette
Sessel und ich dachte JA, das ist es jetzt. Ich fand einen Platz auf einer Bank
in der Sonne im Innenbereich. Türkisches Gebäck in der Auslage, Biomilch neben
der opulenten Kaffeemaschine, ich nahm beides, einen doppelten Espresso mit
viel Milchschaum und ein Pistaziensandgebäck.
Ich
fühlte mich wohl, holte Heft und Stift raus und dachte so, das geht gut hier.
Ich muss
hinzufügen, diese Straße war meine Kindheitsheimat. Das Karree, in dessen
Radius ich mich auf der Straße beim Spielen bewegen durfte. Hier war ich Zuhause.
Hier hatte es alle notwendigen und nicht notwendigen Geschäfte gegeben. Es gab
noch keine Discounter. Schokolade wurde bei Sawade gekauft, Gemüse und Obst bei
einem Einzelfachgeschäft, Milch im Bolle Laden, Kohlen und Kartoffeln beim
Kohlenladen, Blumen bei Lange, Zeitung und Rauchwaren beim Trafikanten, und ein
Geschäft lag neben dem anderen. Bei Sawade hingen draußen Kaugummiautomaten und
einer für Storck Karamell Bonbons. Langes hatten für die Nacht einen
Blumenautomaten. Eine Mark der Strauß. Das war viel Geld aber doch
erschwinglich. Im Zigarettenautomaten gabs 5 Zigaretten für eine Mark. Außerdem
gabs dort Lotto. Mein Vater spielte zeitlebens, alle unsere Geburtsdaten. Er
hat nie richtig groß gewonnen, aber gut verdient, das wog es auf. Ich habe
seine Lottospielerei übernommen. Bei mir wiegt es das Leben auf, ich habe auch
schon mal 2500 € gewonnen, aber das ist eine andere Geschichte.
An all
dies erinnerte ich mich in diesem Café sitzend. Dies Haus gab es in meiner
Kindheit noch nicht, es hatte die Straße länger gemacht.
Aus
meinem Augenwinkel beobachtete ich ein parkendes Auto. Eine Frau stieg aus und
hob aus dem Kofferraum einen Rollator, aus dem hinteren Sitzbereich entließ sie
einen kleinen Hund und die Beifahrerin stiegt sehr langsam aus und versuchte
ohne Rollator zu gehen. Am Ende griff sie die Gehhilfe und die Fahrerin des
Autos tanzte mit ihr den Tanz der Gewohnheit, Unsicherheit, Geduld,
Ermunterung, Zuversicht…all dies gehörte zu ihrem Weg, der letztendlich hier
ins Café führte.
Die
Bewegung endete auf dem anderen Ende der Bank, auf der ich auch saß.
Sie war
unendlich dünn, die Haare leicht strohig gelb und diffus frisiert. Eine
Sonnenbrille verbarg die Empfindsamkeit gegen das Licht. Eine Lähmung zog sich
der Länge nach durch den Körper. In der Kommunikation mit der Freundin
eröffnete sich mir auch die Lähmung der Sprache, es gab kein Sprachvermögen
mehr. Nach einer Weile, der Tee war serviert und die Freundin gegangen, die
Sonnenbrille abgesetzt, gab es ein Nicken und wohlwollendes Gestikulieren zur
Sonne zwischen uns. Sie saß genau richtig, im Schatten und ich mit Genuss im
Sonnenlicht. Ich fragte sie dann, ob sie
einen Schlaganfall hatte. Drei zeigte sie mit der linken Hand an. Sie versuchte
mir deutlich zu machen, dass sie sich vollkommen geteilt wusste und fühlte.
Sprechen würde nie mehr gehen. Ein Alptraum, für sie ebenso wie für mich in der
Vorstellung. Plötzlich wurde ich gewahr, dass sie mich ja verstand, also das
Sinnhafte war noch da. Ich fragte sie ob sie schreiben könne. Sie wehrte
umständlich mit der rechten Hand ab. Nein links, können sie das schreiben. Sie
schaute mich angewidert an. Ich nahm mein Heft und begann mit der linken Hand
meinen Namen zu schreiben, den Vornamen und dachte nur, o Göttin ist das
langsam und krakelig und doch auch, das ist an einem Tag der Stille und Ruhe
vielleicht genau das richtige. Ich schob ihr Heft und Stift hin und sie schrieb
ihren Namen. Vom Vornamen den ersten Buchstaben und dann den Familiennamen. Es
sah schön aus. Und dann erinnerte ich mich an meine Sammlung von
Liebesgeschichten und ich fragte ganz mutig, ob ihre Freundin ihre Liebhaberin
sei, und es gab ein großes leuchtendes Ja auf dem Papier und den Namen und eine
Jahreszahl und dass sie verheiratet sein. Und dann hatten wir das Thema und
schrieben zwei gute Stunden diese Geschichte auf. Ich hatte ihr geschrieben,
dass ich eine Sammlung von Liebesanfängen hätte und ich Menschen so gerne
darauf hin ausfrage. Links war plötzlich kein Problem mehr. Es war eine ruhige
und stille und zugleich lebendige Begegnung. Und ich wusste plötzlich, dass
dies mir mein Geschenk in dieser Zeit war und Ostern zukünftig auch diese Farbe
trüge. Die Versehrtheit einer Frau.
So toll
sah noch nie ein Heft am Ende eines Cafèbesuchs aus. Ich fühlte mich so dankbar
und reich beschenkt.
Am Ende,
als ich ging, begann sie noch einmal sehr wild zu gestikulieren. Ich holte das
Heft wieder raus, doch sie beharrte auf der Gestenkommunikation und ich als ich
mich darauf einließ, war es die einfache Frage, ob ich wieder hierherkäme.
Meine Antwort war einfach: Ja.
Sie nahm
jetzt einen Zettel der Bedienung entgegen und schrieb mir darauf, dass sie
jeden Tag hier wäre, immer um dieselbe Zeit. Nach Ostern werden wir uns
wiedersehen. Ich schenkte ihr meinen Bleistift und behielt mein Heft. Sie
steckte ihn in ihre Hosentasche. Woher mein Heft wäre? Ich kaufe mir die Oktavhefte
für die Manteltasche beim Edeka. Gut. Sie wusste Bescheid. Wir reichten uns zum
Abschied die linken Hände.
Ostern
sind für mich auch die ersten Märzenbecher, die Tulpen und die Narzissen, das
sind Bilder aus meiner Kindheit.
Der
Geruch ist eher ein kalter oder frische Duft von dunkler feuchter Erde.
Ostern
ist schreibgewaltig und leise und aufgeregt bewegt. Ostern ist ab jetzt auch die Erinnerung
an eine erzählte aufgeschriebene Liebesgeschichte, die vor 5 Jahren mit einem Schlaganfall begann. Das ist neu. Die Geschichte gibts ein anderes Mal.
An einem
stillen Tag vielleicht.
Na, das ist ja wieder ein Ding! Ein Riesending - deine Geschichte. Du ziehst doch förmlich solche Begegnungen an. Magisch! Die Story macht wieder deinen Blognamen sowas von sinnvoll - toll :) Fast hätte ich das Atmen zwischendurch vergessen. Erzählen kannst du! Liebe Grüße und einen schönen Tag :)
AntwortenLöschenLiebe Hanne, danke fürs Kompliment und Vorbeikommen und Kommentieren.Meine Erfahrung: jede will von sich erzählen, jede wünscht sich Interesse an ihrem Leben, Fragen sind die Eintrittskarte. Bis bald wieder Ute
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