Eines meiner liebsten
Weihnachtsgedichte entdeckte ich im letzten Sommer während eines Besuches des
Theodor Storm Museums. Mir ging es so, dass ich mich daran erinnerte, es als
Kind gelesen und sogar hergesagt zu haben, aber jetzt in meinem Leben war es
mir nicht mehr gegenwärtig.
Zuhause war es in meiner Kindheit üblich, dass wir Geschwister
immer eine kleine Weihnachtsfeier ausrichteten. Es gab keinen Druck von den
Eltern. Wir hatten in der Schule Traditionen durch alltägliches Tun gelernt und
ich wollte unbedingt so etwas auch für Zuhause haben. Meine Geschwister waren
mit Freude dabei, weil ihre Fähigkeiten gefragt waren. In unserer Grundschule
sangen wir Weihnachtslieder, lernten Gedichte auswendig oder trugen sie
ablesend vor. Immer an den Adventsmontagen versammelten sich alle Klassen im
Treppenhaus und im Vorraum zum Rektoratszimmer hing ein großer Adventskranz mit
wirklichen roten großen Kerzen, die der Rektor zuerst entzündete. Dann wurde
ein Lied genannt und alle SchülerInnen sangen mit Leibeskräften oder zaghaft…egal,
die Gemeinschaft trug dies, genauso wie den Text unterschiedlicher
Weihnachtsgeschichten. (Ich liebe bis heute die Kinderbibel und die Abenteuer
des Rübezahl.)
Dies war eine Schule in einem Problembezirk ohne ausdrücklich christlichen
Hintergrund. Wir hatten Kunst und Musik, Singen, Chor, wir durften uns im
Klassenzimmer bewegen, die Klassenstärke lag bei ca. 20 Kindern. Wir hatten
einen Klassenlehrer und wir hatten Gemeinschaft. Lernschwache Kinder wurden von
Lernstärkeren unterstützt, initiiert wurde dies vom Klassenlehrer in Absprache
im Unterricht. Schulhefte und Bücher gab es umsonst, Lernmittelfreiheit war
selbstverständlich. Noch heute habe ich Bücher, in denen steht, dass mir dies
Buch vom Land Berlin übereignet wurde. Unsere Schulbücherei war sehr gut
bestückt. Wir hatten einen großen Naturkunderaum, in dem es eine große Steine Sammlung
gab. Dort habe ich gelernt zu mikroskopieren und Steine zu spalten, um ihren
schatzhaften Kern zu erkennen. Wir gingen richtig in die Natur und lernten
Blattformen und Bäume benennen.
Die Lehrer, die mich unterrichteten, gehörten nicht unbedingt
zu meinen Freunden. Aber sie brachen mich nicht, sondern versuchten meine
Lebendigkeit mit vielerlei Mühe zu regulieren. Ich durfte umhergehen, wenn mir
danach war, eben mal die Blumen des Klassenzimmer gießen und dabei noch eine
Rechenaufgabe lösen. Mein Lehrer sagte zu meinen Eltern, dass ich immer mit
anderen Kindern um mich herum reden würde und damit andere Kinder auch abhalten
würde vom Lernen. Aber mein Lernpensum und Wissen litten darunter nicht. Mein
Vater antwortete ihm, dann sagen sie ihr das, sowas versteht sie. Ich musste
dann zum Direktor und der erklärte mir das ganz freundlich und hörte sich meine
Sorgen an. Ich fand nämlich, dass die Pausen viel zu kurz waren, um sich alles
mitzuteilen, was so zu klären war. Er schlug mir vor, dies in meiner Klasse zu erörtern
und zusammen mit dem Lehrer eine Lösung zu finden. Aber, das machte er mir
deutlich, die 45 Minutentakte Unterricht wären unangreifbar. Und er fragte
mich, ob ich Klassensprecherin werden möchte. Na klar. Na dann schlag Deinen
MitschülerInnen auch dies vor. Das Ende dieser Geschichte: wer genau wie ich viel
reden möchte, wir waren acht, bekamen die Möglichkeit zusammen mit unserem
Klassenlehrer den Schulgarten aufzubauen und zu pflegen. Wir haben Ratten
gejagt, Kürbisse gepflanzt, Mohrrüben und Petersilie angebaut und Blattsalat
gabs auch. Wir hatten so viel zu tun und so viel Zeit zum Quatschen, himmlisch.
Endlich waren meine Kräfte gefordert und wurden gebündelt und
ließen mich das Gefühl entwickeln mitwirken zu können und Verantwortung zu
tragen. Meine Eltern wurden angehalten, mir den sehnlich erwünschten Hamster zu
geben, damit ich auch für eine lebendiges Wesen Tier Verantwortung trüge.
Dies alles fand in einer gemeinen Volksgrundschule statt in
einem Problembezirk mit materieller Armut und Bildungsferne in den Familien.
Die Zeit waren die Anfang Sechziger.
Geblieben sind mir Haltungen und Bücher und Kunst und Musik
und Gemeinschaft und gerne Verantwortung übernehmen, mich einsetzen und gerne
auch alleine sein, weil ja all dies grade im Alter auch trägt.
Wisst Ihr, wie es geht, Gedichte auswenige zu lernen? Sich mit
dem Rhythmus des Gedichts im Raum bewegen und dabei zu klatschen. So habe ich
Weihnachtsgedichte ebenso wie die Kraniche des Ibikus gelernt.
Verstanden habe ich die damals nicht, aber unser Heimatkundelehrer
hat uns dazu die Geschichten erzählt. So hatte ich als Erwachsenen einen ganz
anderen Zugang zur Poesie.
Und nun das Gedicht:
Vom Himmel in die tiefsten Klüfte
Ein milder Stern herniederlacht;
Vom Tannenwalde steigen Düfte
Und hauchen durch die Winterlüfte,
Und kerzenhelle wird die Nacht.
Mir ist das Herz so froh erschrocken,
Das ist die liebe Weihnachtszeit!
Ich höre fernher Kirchenglocken
Mich lieblich heimatlich verlocken
In märchenstille Herrlichkeit.
Ein frommer Zauber hält mich wieder,
Anbetend, staunend muss ich stehn;
Es sinkt auf meine Augenlider
Ein goldner Kindertraum hernieder,
Ich fühl`s, ein Wunder ist geschehn.
Was für eine berührende Geschichte, liebe Ute ☺️So kann es auch gehen in der Schule! Ich kann es mir so gut vorstellen, welches Kind du warst. Offen, fleißig, mitfühlend, gesprächig, wissbegierig.... .einfach eine Bereicherung für deine Umgebung 🥰 Und deine Freundinnen, Freunde und deine Familie sehen es bestimmt auch heute noch so 😊Vielen Dank für deine emotionale Story 😘Liebe Grüße vom grauen Frankenländle ✨💫🌟
AntwortenLöschenLiebe Hanne, danke für Deine Worte und Deinen freundlichen Zuspruch. Herzlich aus Berlin
LöschenDanke für dein Erlebnis als Schulkind, ich schmunzelte das ist Ute wie sie lebt und lacht und redet!!!!
AntwortenLöschenGrüsschen zum 3.Advent Umarmung Elke