Lesende Frauen
Zugegeben, lesende Frauen können unterschiedlicher nicht sein.
Diese Begegnung war schon eine der ausgefalleneren Art. Das Foto war heimlich
entstanden, sie war so versunken, dass ans Merken nicht mehr zu denken war.
Ich pirsche mich langsam an sie heran.
„Was lesen Sie denn?“
„Det jeht sie doch aba sowat von jarnischt an“…sie blafft mehr
als sie spricht. Kein Wunder. Ich habe sie aus Ihrer Versunkenheit gerissen.
Ich lache.
„Das stimmt. Aber ich finde, das Foto ist doch schön geworden.“ Ich
zeige es ihr.
„Na det iss ja wohl det hinterletzte, mir hier heimlich zu
fotografieren.“
Trotzdem schaut sie nochmal neugierig drauf.
„Aba elejant sehe ick da nich aus, oda?!“
„Nö, elegant würde ich das auch nicht nennen, aber liebenswert.
So versunken. So als würden sie schon lange nicht mehr auf die Bahn warten,
sondern, egal was passiert, bis zur letzten Seite vertieft bleiben.“
Sie legt das Buch auf ihren Schoss und schaut mich an.
„ Und wat machense jetzt mit den Foto?“
„Ich habe eigentlich vor, es auf meinen Blog zu setzen und
einige Sätze zu dem Buch dazu.“
„Jebense mir die Blogadresse? Ick will det sehen.“
„Ja klar.“ Umständlich krame ich in meiner Tasche nach meiner
Karte, wo ich die Adresse drauf schreiben will, da holt sie ihr Smartphone raus
und bittet mich erneut um die Adresse. Sie schreibt sie in ihre Notizen.
Schneller als ich ist sie auf dem Gerät in jedem Fall.
„Aba wat lesen sie denn jetzt?“
„Utta Danella…kennen sie die?“
„Na klar, die ist ja nun wohl weltberühmt.“
„Und habense schon wat von ihr jelesen?“
„Auch na klar. Als in Norwegen vor 20 Jahren nischt mehr zu
lesen da war, und ich nach was Deutschsprachigem suchte, hatte ich die Wahl
zwischen Bildzeitung, Konsalik und Utta Danella, da fiel die Wahl auf sie. Das
war wirklich unterhaltsam, wie Fernsehen im Kopf.“
Ich erinnere mich leider keiner Detailles mehr und lenke um.
„Haben sie dann auch schon mal Rosamunde Pilcher gelesen?“
„Nee, det iss nun nich so meine Welt. Stellnse sich mich mal
uffn Cottage vor, also det jeht doch ja nich und det kann nich mal icke mir
vorstellen und denn ist det doof für mich, sowat zu lesen, wenn se mir
verstehen.“
Ich muß so doll lachen, dass die Leute aus der letzten
Strassenbahn zu uns schauen.
„Das stimmt, ich will mich auch mit dem Buch irgendwie
identifizieren können.“
Plötzlich merke ich, wie wir in einer Blase sind und die Umwelt
um uns verschwindet, obwohl wir nur über Bücher sprachen.
„Woher haben sie ihr Buch?“
„Ach wissense, ick wohne im Prenzlaua Berg, also wirklich noch
ein Haus mit alte Mieter. Wir sind fünf Frauen, alle ins selbe Alta wa, wir
lesen sone Bücher ruff und runter und leihen uns die untaeinanda aus. Und zum
Schluss legen wa die uff die Mülltonne und icke sare ihnen, die vaschwinden ehe
wir wegkieken, wa. Dat nehmen sich bestimmt die Jungen Frauen, die grade
schwanger sind und och noch von bissken jutes Leben träumen…ja so wirtet wohl
sein…“
Und dann zählt sie mir Autorinnen auf, deren Familiensagas
anscheinend Weltruhm haben, die ich noch nie gehört habe und ich bin völlig
hingerissen von den ganzen Parallelwelten und den Barbara Woods und wen weiß
ich noch und ich denke, dass ich mir die mal anschauen werde, und dass es doch
so toll ist, mit allen alten und jungen Frauen schon deshalb reden zu können,
weil sie wie ich auch gerne lesen.
Am Ende finden wir noch heraus, dass wir beide die BRIGITTE DOOF
finden und dass sie lieber Gala liest und manchmal auch die Happinez.
„Wie sind se den daruf jekommen?“Jetzt bin ich emotional schon
vom Berlinern anjesteckt und verfalle darein.
„War ne Werbung innne Strickzeitschrift.“
Und dann erkennen wir unsere gemeinsame Liebe zum Handarbeiten
und dass wir immer noch gerne Stricken und nähen und backen und kochen und dann
sind wir voll die Weiber in keinem fremden Land mehr sondern in gemeinsamer
Sozialisation.
Und dann bin ick so froh, det icke in Berlin lebe, also echt, da
kannste jenau sowat erleben…OKIDOKI
Nachbarin, bis zum nächsten Mal.
Ach und das Buch hieß: Der Seerosenteich und es ist eine
Familiensaga, hatse jesacht…