Berliner
U-Bahn Stories
Die Berliner U-Bahn ist
für mich ein Alltagsfortbewegungsmittel ebenso wie meine Füße, die mich tragen.
In der Regel fahre ich damit
zur Arbeit, verbringe insgesamt eine Stunde darin und erleben täglich viele
Lebenssituationen, die ich im eigenen Auto oder auf dem Fahrrad gar nicht
mitbekommen könnte.
Die Kurzweiligkeit der
Begegnungen fasziniert mich oft. Der flüchtige Moment macht die Fahrt
aushaltbar, wenn ich müde und lustig, wenn ich offen bin.
Meinen ersten Liebhaber
lernte ich vor 40 Jahren in der U Bahn kennen, zwischen Prinzenbad und Mehringdamm,
da war nicht viel Zeit, da war`s ein Lachen und Grinsen und dann war`s um die Zuneigung
geschehen, in einer Zuneigungskurve, wie ich es früher nannte, denn die Bahn
fährt da einen großen Bogen über der Stadt.
Den Spaß am kurzweiligen
Kontakt habe ich bei meinem Großvater kennengelernt und ich habe ihn mir ab
sozialisiert und auf diese Weise selber vererbt. Mein Großvater lebte sehr
kontaktfreudig, er sprach Menschen an, fragte sie, verwickelte sie in Gespräche
und war immer im Kontakt. Im Grunde ist sein Sohn, also mein Vater ein ebenso
lebensfroher und lustiger Mensch unter Menschen gewesen. Auch mit ihm war das
Reisen und unterwegs sein ein Vergnügen, eine Offenbarung im Dabeisein und Zusammenkommen.
Erst in letzter Zeit habe
ich manchmal das U Bahnfahren Leid gehabt, die Enge zu bestimmten Uhrzeiten,
die Masse der Touristen, es gibt viele Gründe, die Magische Verbindung zu
verlieren, mit mir und der Natur kann es sich ganz ähnlich verhalten. Es gibt
immer ebenso viele Gründe zurück zur Freude zu kommen, wenn ich meine
Achtsamkeit mehr lenke, die Freude am Kontakt, an der Begegnung mehr suche und
das Schöne wieder finde. Das ist mein Trick, wieder zurück zu kommen in die
Natur und hoffentlich auch in die U Bahn. Deshalb hier nun ab und an die U Bahn
Stories.
In dieser Woche gab`s
eine wundersame Begegnung, die nur zu einer werden konnte, weil ich Mut hatte,
weil meine Gegenüber offen reagierte und weil uns dieselben Begegnungen
interessierten.
Ich fuhr von Warschauer
Str. nach Schöneberg. Am Görlitzer Bahnhof stieg eine junge Frau ein, ca.30
Jahre alt, unscheinbar auf den ersten Blick, setzte sich mir gegenüber. Zwei
Stationen später stiegen vier ältere türkische Migrantinnen zu, voller
Lebensmitteltaschen, Tütenberge, irre temperamentvolle Gebärden, laute Stimmen,
Towabo um Sitzplätze, alle zusammen natürlich, zwei jüngere Menschen standen
sofort auf, weil die Energie so überbordend und platzeinnehmend wirkte,
vermutlich. Ich begann unvermittelt zu lachen, ich fand diese Energiewelle
dermaßen lebendig und toll, die junge Frau mir gegenüber lachte sofort mit.
Alle vier saßen nun um sie rum und sie schien das zu genießen.
Ich zu ihr: was für eine
Welle…
Sie: unvorstellbar, dass
Frauen unterdrückt werden…
Ich: ich genieße diese
weibliche Präsenz…
Sie: ich hasse normaler
Weise, wenn Männer sich so breitbeinig hinsetzen, aber das hier könnte ich
täglich haben…
Wir lachen. Derweil
wurden alle Tüten umgepackt, Wasser wurde ausgetauscht und getrunken…wir lachten
alle…
Kürfürstenstr. Machte sich
die junge Frau auf, verabschiedete sich mit Tschüss und weg war sie.
Zwei Tage später, ich
wieder auf dem Nachhauseweg, Görlitzer Bahnhof steigt die junge Frau wieder
ein. Wir lächeln, sie sagt nur:
Berlin ist ein Dorf und
die Welt ist klein.
Ich denke, frag sie doch
mal, auf was für einem Weg sie ist und frage.
Sie: Ich bin auf dem Weg
zur Arbeit.
Ich: Ach so, ich komme
von der Arbeit und bei Ihnen beginnt der Arbeitstag.
Ich total neugierig und
trotzdem einen Moment zögerlich und dann eine innere Stimme, los frag, du wirst
dein blaues Wunder erleben. Ich schwankend, ob blaue Wunder jetzt mein Ding
sind, immer noch zögerlich, steigen drei Mütter mit schreienden wilden Gören
rein. Alles Mädchen und wild und Affenschaukel an den Stangen und drehen an
Innenstangen und ein Hau und ein Hee und wieder weiblichen Präsenz zum
Überborden.
Sie: früh übt sich.
Ich denke los jetzt frag:
was arbeiten sie eigentlich?
Und dann stellen wir
fest, dass sie in der Begine, einem Frauenladenlokal arbeitet, bei einer
ehemaligen Freundin von mir und dass sie ebenso wie diese Freundin und ich vor Dreißig
Jahren diesen Job in einer Frauenlokation als Neuzugezogenen nutzt, um als
Lesbe in der Stadt sich einen Freundinnenkreis aufzubauen und Beziehungen zu
knüpfen. Ja denke ich, alles bleibt beim Alten, auch wenn Handy gibt und
Internet, die leibhaftigen Beziehungen und ihre Netze sind überall auf der Welt
gewünscht.
Ich habe endlich einen
Grund mal wieder in die Begine um die Ecke bei mir zu gehen und werde Manu
wiedersehen…und die neue junge Frau wird in Dreißig Jahren vielleicht auch in
einer U Bahn sitzen und vielleicht wird sich auch bei ihr dann irgendein Kreis Schließen.
Jedenfalls konnte ich nicht davon ausgehen, dass diese fremde Frau und ich
dieselben Kreise und Frauen kennen.
AUCH DAS IST U BAHN
FAHREN…