Sonntag, 21. Juli 2013

TANZEN SPIELEN LEBEN







TANZEN SPIELEN LEBEN

Manchmal ist der ganze Tag ein Wunder.
Manchmal ist es ein Wunder, dass ich mich führen lasse durch den Tag.
Manchmal ist es ein Wunder, dass die innere Stimme mich erreicht, dass ich mich von ihr führen lasse und dann ist es kein Wunder mehr, dass es ein wunderbarer Tag wird.
So ein Tag durchzog mein Leben heute.

Aber fange ich woanders an, dort, wo meine Intuition mich nicht erreicht hat, wo ich in alte Verhaltensmuster zurückgefallen bin und am Ende in mir niemanden mehr angetroffen und selbst dies für einige Tage nicht bemerkt habe.

Ich bin eine Frau mit depressiven Strukturen. Für mich zu sorgen, auf meine Bedürfnisse zu achten und dabei gleichzeitig  ein ausgewogenes Verhältnis zu anderen Menschen und deren Anliegen zu spüren, das sind Herausforderungen für meine Seele. Oft kann ich das mittlerweile ganz gut. Nach langer Zeit bin ich aber wieder in dieses Verhalten gefallen, was sich darin zeigt, dass ich:
Mir plötzlich Sorgen mache, Angst bekomme vor neuen Wegen, meine
wichtigen Anliegen wie Schreiben Tanzen Schwimmen vergesse.
Heute Morgen hatte ich plötzlich diesen Satz im Kopf:
Die depressive Struktur ist, dass ich mich vergesse,
Depression ist, dass ich das, was ich so liebe gar nicht erst tue.

Wenn Freundinnen treffen, Tanzen gehen, Schreiben, Schwimmen und regelmäßiges Laufen genauso wichtig sind wie Arbeit und die kranke Freundin, dann bin ich glücklich und ausgeglichen und spüre Lebenskraft.

Irgendwann heute Früh dann kam die Intuition durch in mir, die Lust auf Bewegung im Tanz, mich zusammen mit anderen Menschen bewegen, den Raum mit einer Energie ins Schwingen bringen…und gegen jede Vernunft gab ich dem nach und…
Wurde reich beschenkt.
Wir waren nur zu viert…sonst sind es eher 15 und mehr Menschen…zwei Männer zwei Frauen und die Anleiterin und ein Haufen wunderbarer Musik…Hitze Schweiß…alles war da…
Genug Wasser auch. Wir tanzten alles
Unsere Namen
Unsere Namen mit den anderen zusammen
Unsere Schwere
Die Schwere der anderen
Unser leichtes Herz
Das leichte Herz der anderen
Unsere Ecken
Die Ecken der anderen
Unseren gemeinsamen Fluss
Immer enger als Gruppe
Und dann nach der Stille kam es:
Jede/r holt sich einen Stuhl und zusammen tanzt und macht ihr mit den Stühlen, was ihr wollt, immer zusammen kommen, den Blick weg vom Boden, die Augen auf Höhe der anderen Augen, nicht auf den Boden schauen und verschwinden sondern bei den anderen und bei sich bleiben…
Es war so klasse
Wir waren so verspielt
So ängstlich wurde es in mir beim auf den Stuhl steigen, die Angst verging beim Handhalten von einer oder zweien, sich halten, blind rückwärts auf allen Stühlen laufen, durch alle Stuhlbeine durchrobben, Stühle balancieren, sich die Stühle hinstellen, alle zusammen auf einen Stuhl, es machte so einen Spaß, dazwischen Grundgefühle und die Erfahrung gehalten sein, behütet sein, umsorgt sein, Vertrauen können,
am Ende saß ich tränenüberströmt da…der Knoten platzte und ich wusste, Vertrauen ist mein Schlüssel. Stille kam dann in unsere Hände, gemeinsame Hände, berührende Hände, Stille, beten mit Händen und Füßen…Bodyprayer allesamt…ganz leise und nahe.
Nun bin ich zurück im Leben und bleibe da auch eine Weile, vielleicht noch länger als vorher, auf jeden Fall reich beschenkt und im Vertrauen auf mein Leben mit anderen und mir, oder eben umgekehrt.



Samstag, 20. Juli 2013

MARATHON




MARATHON


Ihren ersten Marathonlauf absolvierte sie mit 19 Jahren in 4 Stunden und 10 Minuten.

Sie läuft mit der Kraft, die Ruhe sucht und Frieden schafft, welchen Frieden auch immer. Jedes Mal ist es ein anderes Thema. Manchmal ist der Lauf das Thema, immer ist es der Körper, der schafft. Diese Mal ist es ein Lauf mit dem Nachdenken über all jene Menschen in ihrem Leben, die in den letzten zwei Jahren verstorben sind. Ein ruhiger und guter Lauf wird sie später sagen.

Als kleines Mädchen verließen sie die Beine. Die Schenkel sprangen aus den Beckenschalen, so wie Felsbrocken ins Tal hinabkrachen, am Ende steht kein Stein mehr auf dem anderen. Meine Schwerster hatte grade begonnen, von Stein zu Stein zu hüpfen, Gummitwist, Hopse malen und springen, was Kinder in diesem Alter so entdecken. Die Welt liegt voller Möglichkeiten vor uns, da verlassen uns die Kräfte nicht von einer zur anderen Minute. Der Schmerz kam. Er kam immer wieder. Er wurde nicht gehört. Sie sprach von dem Schmerz. Sie wurde nicht gehört. Der Schmerz galt nicht in den Ohren der Erwachsenen. Dann zerriss er dem hüpfenden Mädchen die Seele und sie schrie nein. Ungehört wuchs er in ihre Welt des Laufens und riss ihr die Kraft aus dem Leib und stieß sie erbarmungslos auf den Boden. Sie fiel zur Erde. Sie konnte keinen Schritt mehr tun.

Wer kleinen Mädchen im Schmerz misstraut und ihn zu mindern sucht, wird irgendwann im eigenen Schmerz ersticken, aber bis dahin blieb er bei dem Mädchen. Er zwang sie ins Krankenhaus, in die Knochen Chirurgie, auf Holzbretter, und er hinterließ auf dem Körper große Narben. Narben so lang wie Bleistifte und dick wie Wachsmalkreide. Er hinterließ Wundschmerz, Juckreiz, Rückenschmerzen, Kraftverlust und Ohnmacht.

Die Schwester lag. Monate lang. Sie lebte auf und in Gegenwart der Mutter verdarb sie fast wieder. Sie verdarb fast vor dem Leben. Bis das Personal die Mutter verwiesen. Dann gab´s Luft zum Atmen und dennoch blieb der lange Atem der Heilung, den ein kleines Mädchen natürlich nicht hat. Sie spürte vielleicht den Willen zu springen, zu laufen und zu hüpfen und frei zu springen, sich ungehemmt durchs Leben zu bewegen. Die Wirklichkeit war ein unbewegliches Kind im Bett. Im Gips, angebunden, fest gemacht. Meine Schwester lag fast ein Jahr im Krankenbett.

Aber irgendwann stand sie auf. Ich weiß nicht wie. Ich weiß nichts darüber, wie sie das Laufen neu lernte. Sie lernte es aber aufs Neue. Sie erinnerte sich vielleicht daran, aber sie brauchte ja neue Kraft in die Beine hinein. Sie wackelte wie ein unsicheres Vogeljunges am Ufer eines Sees. Daran erinnere ich mich. Sie strauchelte bestimmt. Wer hielt sie im Straucheln? Wer bei uns Zuhause lief neben ihr, stand ihr bei in der Unsicherheit des täglichen Gehens. Von wem fühlte sie sich gehalten und getragen?

Sie stand auf, lernte laufen, zur Schule gehen, Gitarre spielen, dazu singen, schreiben, lesen. Sie liebte es zu lachen, sie mochte Humor und spielte Kabarett. Sie gewann Freunde und verlor Freundinnen. Sie versuchte die Liebe und wurde Partnerin. Sie studierte. Sie half Menschen. Sie hörte zu und sprach eher leise. Sie fühlte sich ein bis zur Selbstaufgabe. Sie fiel hin. Sie stand auf. Sie rannte weg und kam woanders an. Sie hatte gründlich gelernt, auf die Beine zu kommen…immer wieder.

Und sie hatte gelernt zu laufen, schon in jungen Jahren joggte sie. Sie verbrauchte Schuh um Schuh. Andere Menschen verlieren die Übersicht, sie verliert Jahraus jahrein mindestens zwei Paar Schuhe. Sie begann schon früh Marathon zu laufen. Sie stellt sich auf ihre Beine und läuft davon, um ihr Leben, um den Druck im Leben auszuhalten, um ihrem Leben Kraft zu schenken, um sich zu spüren, um sich aufzurichten, um in der ruhigen Natur den eigenen Rhythmus zu spüren und zu finden. Sie läuft und steht und läuft.

Sie begann mit 19 Jahren und ist heute 49 Jahre alt. Übermorgen läuft sie das letzte Mal einen Marathon. Sie läuft den ZWEISPURBETONTRASSENMARATHON. Sie ist unzählige gelaufen, nur drei Mal hat sie vor dem Ende aufgehört. Manchmal hängen diese drei nach. Übermorgen werden auch diese drei mitlaufen und die anderen werden sie tragen. Ihr Mann wird sie am Wegesrand tragen. Sie selber trägt sich schon lange, immer wohl.

Jetzt ist der Lauf vorüber. Sie ist 5 Stunden 17 Minuten gejoggt. Sie hat keine Muskelbrände und sie ist glücklich. Es war der SCHÖNSTE Lauf sagt sie. Alles durchgeknallte Leute, übersichtliche Anzahl, alle total nett und speziell. Du bekommst die anderen mit, hast wirklich Kontakt. Die Jogger haben sich selber versorgt. Also die Angehörigen versorgen die Jogger. Einer hat sein Wohnmobil dabei und bietet jedem eine Dusche an, eine andere massiert Füße. Mein Schwager hat in einem Campingstuhl gesessen und ist alle halbe Stunde beherzt aufgesprungen, hat HIPHIPHURRA gerufen, hat sich wieder gesetzt und weiter in den Lübecker Nachrichten gelesen, in der tiefen Sicherheit, dass sie in einer halben Stunde wieder genau hier vorbeikommt. Sie laufen 4 km im Quadrat, also auch das sehr übersichtlich. Zuschauerfreundlich…hihihi. Die Leute im Norden sind skurril und klasse. Da kommen vielleicht mehr Zuschauer_innen als Läufer_innen, hat auch seine Vorzüge. Man könnte im Gründe Parallel auch ein Boule Matsch absolvieren oder so. Auf jeden Fall zusammen Café trinken und Kuchen essen. IRRE………..


Und meine Schwerster? Und ihre Beine?
Laufen wird sie weiter, vermutlich Paar um Paar.
Aber wer hat sie damals gehalten?
Ist das Laufen selber der Halt?
Ich bewundere meine Schwester. Sie ist eine wunderbare Läuferin. Ich kenne niemanden, der einen so erhabenen Gang hat und erhobenen Kopfes durch die Welt läuft. Auch wenn sie nicht joggt, aber dann auch.











Sonntag, 7. Juli 2013

Die Welt der GUTEN BÜCHER







DIE Welt DER GUTEN BÜCHER

Sonntag Mittag auf dem Flohmarkt am Rathaus Schöneberg.
Die Friedensglocke läutet. Ich stehe an meinem Lieblingsstand. Warum der mein Favorit ist, wird deutlich, wenn der Standbesitzer seinen Slogan ausruft:
Jedes Buch 1 €
Bei 5 Büchern mußte 7 Nachhause schleppen…
Vor mir 60 Kisten nebeneinander in 5 Reihen aufgestellt zum Stöbern. Ich bin vertieft.
Beim Wort SCHLEPPEN murmelt einer mir gegenüber halblaut:
Das ist genau das Problem.
Er hat einen Rucksack auf und ich denke, wo ist das Problem?
Laut sage ich:
Bei guten Büchern ist das doch nicht wirklich ein Problem.
Wir grinsen uns an.
Nach einer Weile er wieder:
Woran erkennt man ein gutes Buch.
Ich lachend:
Jedes Buch, was Menschen unbedingt schleppen und lesen wollen, sind für diese Personen gute Bücher.
In diesem Moment stehen alle mit ihren Armen voller Bücher auf dem Prüfstand:
KONSALIK SIMMEL LENZ NALDONY MINETT WALTERS GRAHAM GREEN TUCHOLSKY
JEDE MENGE GRO?FORMATIGER BICLBÄNDE KOCHBÜCHER BURDAHEFTE BASTELBÜCHER…alles GUTE BÜCHER finde ich alles gute Menschen finde ich
Menschen, die gerne in Büchern stöbern sind tolle Menschen, genauso wie die, die gerne zusammen singen…
Kurios: eine Frau im Rollstuhl kauft jede Menge Wanderbücher. Wir schauen alle auf sie.
Sie sagt: vielleicht kann ick ja mal wieda loofen und wenn nich denn eben in die Fantasie…
Das sind gute Bücher: Phantasieanreger.
Das war ein schöner Moment am Sonntag Mittag auf dem Platz vor dem Schöneberger Rathaus, als die Freiheitsglocke schlug…