Die
Krippe
Ihr sonniges Blau gab den Ausschlag für unsere
Vorliebe. Bestechend die detailgenauen Figuren. Ich verliebte mich sofort in
Melchior und die goldgelben Sterne. Die feingezogenen Honigkerzen machten sie
vollkommen.
Meine
Mutter wollte sie unbedingt.
Es
war Anfang der sechziger Jahre, die Mauer war schon gebaut. Wir lebten noch in
diesem Schrecken, der unsere kleine Familie im Westteil der Stadt komplett von
dem großen Clan im Osten getrennt hatte. Unvergessen, mein Vater steht weinend
an der Bernauer Straße und winkt fassungslos zu seinen Eltern, meinen
Großeltern, die auf der anderen Mauerseite standen. Wir konnten nur
hinübersehen, weil wir auf einem Hochstand standen, starr vor Angst und Trauer.
Zu
eben dieser Zeit also standen meine Mutter und ich vor einem Kunstgewerbeladen
am Kaiserdamm und bewunderten eine Krippe aus Thüringen. Sie drehte sich. Es
war eine Pyramide, deren angezündete Kerzen die Fächer am Himmel anfeuerten und
das Spiel zum Drehen brachten. So stellte es sich mir dar. Meine Mutter stand
oft davor, der Preis schien unerschwinglich, was unser Begehren nur größer
machte. Eines Tages beschlossen wir, mit Rabattmarkengeld dafür zu sparen. Es
schien der einzige Weg, das Geld für dieses Kleinod zusammenzubekommen. Ein
ehrgeiziges Unterfangen, dessen Grundlage Geduld war. Meine Mutter war in
finanziellen Angelegenheiten ein sehr geduldiger Mensch, auch duldsam. Und
bescheiden. Für eine Rabattmarkenkarte erhielten wir 1.50 DM. Die Krippe
kostete sehr viel, wir würden viele Marken kleben müssen, das verstand ich. Bis
dahin blieben uns immerhin der Spaziergang und die Hoffnung, die Pyramide eines
Tages zu erwerben.
Eines
Tages war sie aus dem Schaufenster verschwunden. Ich stand alleine davor und
war fassungslos. Hoffnungslos und aufgebracht betrat ich den Laden und blickte
mich um und fing einfach zu weinen an. Ich war höchsten 5 Jahre alt. Die
Verkäuferin kam auf mich zu und ich sprudelte nur so über. Wo die blaue
Pyramide wäre und ob jemand anderes sie gekauft hätte und was wir den jetzt
machen würden. Ich lebte damals in einer Welt, in der alles einzigartig schien,
dass es viele Pyramiden dieser Art geben könnte war keine Option in mir. Ich
lebte in der Vorstellung dieser einzigartigen blauen Pyramide. Eine reiche
innere und äußere Welt.
Als
die Verkäuferin verstand, welche ich meinte, ging sie mit mir in einen Raum
hinter dem Verkaufsstand und erklärte mir, dass sie manchmal um dekorieren
müsste. Und dass jemand diese Krippe vor einigen Tagen zurückstellen hatte
lassen. Ich erzählte ihr von unserem Plan mit den Rabattmarken und von unseren
Spaziergängen und unserer Hoffnung und dem Anblick im Fenster. Die Verkäuferin
lächelte und versuchte mich zu beruhigen. Sie zeigte großes Verständnis und wie
um mich zu trösten ging sie mit mir auf eine kleine Holzkapelle mit
musizierenden Engeln zu. Spielst Du ein Instrument, fragte sie mich. Ich hatte
eine kleine Flöte und mühte mich noch ordentlich mit dem Verschließen der
Tonlöcher mit meinen kleinen Fingern, so dass die Töne nur selten hell und rein
klangen. Die Verkäuferin nahm einen kleinen Engel mit einer Flöte. Damit die
Zeit des Wartens leichter fiele, und dass er den Wunsch behüte und segne, dafür
schenkte sie ihn mir. Und ich solle weiterhin an den Traum mit der Pyramide
glauben, einmal würde es so weit sein.
Zwei
Wochen später begann die Adventszeit. Ich hatte meiner Mutter natürlich vom
Verlust unserer Pyramide berichtet, aber auf eine mir unerklärliche Weise blieb
sie eher ruhig und besonnen und freute sich mit mir über den kleinen Engel.
Eilfertig erklärte ich vollmundig, dass ich lieber auf meinen Adventkalender
verzichten würde, als auf die Holzkrippe für immer verzichten zu müssen und
quälte mich und meine Munter über tausend Möglichkeiten, sie doch zu erwerben.
Irgendwann aber wurde es dann auch in mir still und ich dachte nicht mehr
daran.
Als
ich am ersten Advent in unser Wohnzimmer zum Frühstücken trat, stand sie da,
auf einem kleinen Hocker, die Kerzen brannten und sie lief rund wie geschmiert.
Die drei Heiligen, das Kamel, der Ochse, der Hirte, der Engel, wie von
Zauberhand liefen sie und in der Mitte war die kleine Krippe ganz still. Ich
war vollkommen überwältigt. Meine Mutter hatte sie zurückstellen lassen. Das
restliche Geld hatte mein Vater spendiert.
Das
war eines der wirklich schönen Weihnachtsfeste, wo wir uns alle drei an etwas
über einen längeren Zeitraum erfreuten. Der Adventskalender fehlte nicht. Er
hing an meinem Bett, überall hinter den Fenstern gab es kleine
Schokoladenstücke.
Die
Lichter leuchteten hell in unser Leben. Meine Mutter hat mir die Pyramide schon
vor einigen Jahren vererbt. Sie ist für mich eine kostbare Erinnerung an eine gute Zeit mit meinen Eltern.
du rührst mich an. Das ist eine der schönsten Adventsgeschichten, die ich gelesen habe (und ich habe durch meine Arbeit Unmengen gelesen). Herzlichen dank fürs Teilen.
AntwortenLöschenIrka
vielen Dank für die Wertschätzung
LöschenEine besinnliche schöne reale Geschichte die mit uns teilst.. toll!
AntwortenLöschenSchönen 2 Advent wünsche ich dir!
Lieben Gruss Elke
liebe Elke,
LöschenDir auch einen schönen 2. Advent am stürmischen MEER
Diese Geschichte - Deine Geschichte hat mich jetzt gerade so berührt, dass mir beinahe die Tränen gekommen wären. Soviel Hoffnung und Liebe und Wille <3 Genau darum geht es doch in der Adventsszeit....
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