Freitag, 18. Oktober 2013

WENN DAS LEBEN SICH ENDLICH ZEIGT





Wenn die Leben sich endlich zeigen

Als der Alterungsprozeß bei meinen Eltern einsetzte, fühlte ich mich zuerst verloren, dann betrogen, dann wurde ich bockig und zickig und erst dann, als alles in mir durchgelaufen und abgearbeitet war, begann die wirkliche Begegnung mit dem Alter und es begann ebenso die Auseinandersetzung mit meinem eigenen Alter. Erst zu diesem Zeitpunkt fühlte ich die  Aussöhnung.
Mein Vater beschrieb seine Wahrnehmung zum Altwerden einmal so: dass ich bekloppt werden könnte, mich nicht erinnern oder nur schwer konzentrieren würde, damit habe ich gerechnet, aber nicht damit, dass mein Körper mich im Stich lassen würde.
Meine Mutter war die DEUTSCHE EICHE in unserer Familie. Ich kann diese Selbst- und Fremdbeschreibung schon seit vielen Jahren nicht mehr hören. Wenn ich mir die kranken Eichenwälder anschaue und ihren Verfall im Angesicht unserer Naturverfehlungen, dann sehe ich auch die grenzenlose Überforderung meiner Mutter, deren Körper schon lange nicht mehr stark und kerngesund agiert, sondern sich erschöpft, müde und ruhelos irgendwie durch alle Tage schleppt. Meine Munter leidet seit vielen Jahren unter Schwindelanfällen, die ihre Lebensqualität erheblich einschränkt.
Als die Beweglichkeit meiner Eltern schwand, da erinnerte ich mich all der Wanderungen und Wochenendspaziergänge, der Märsche durch die Museen und Stadtviertel, unser grenzenloses Durchlaufen des uns neueröffneten Ostberlins, unsere Reisen, allem, was eben mit Beweglichkeit zu tun hat.
Ich wollte es anfangs nicht wahrhaben, dass all dies unwiederbringlich vorbei und auch nicht wiederholbar war, auch nicht umkehrbar. Ich konnte sie nicht ins Auto setzen und mit ihnen die Reisen machen, denn sie wurden alt und müde und sie verloren auch ihre Kräfte und wollten einfach zur Ruhe kommen.
Ich erinnere mich gut der hilflosen Bemühungen meines Bruders, ihr Leben lebendiger zu gestalten, sie wollten das nicht.
Und dann begann auch meine Lebensgefährtin unheilbar krank zu werden und vor allem ihre Beweglichkeit und Lebenskräfte schwanden.
Spätestens jetzt war klar: Ich bin beweglich und darf es sein und ich darf dafür eigenen Wege gehen und ich muß dies mit anderen Menschen oder alleine tun. Seither tanze ich um mein Leben und gehe jeden Tag eine Stunde spazieren.
Und ich akzeptierte, dass Rollstuhl und Rollator Einzug in unser aller gemeinsames Leben Einzug hielten. Ich liebe es, meine Freundin flexibel durch die Stadt und Parks und Natur zu schieben und sie bei mir zu haben und ich kann das Alleine in Bewegung leben ebenso genießen.
Meine Eltern gemeinsam nebeneinander mit ihren Rollatoren laufen zu sehen rührt mich an. Sie tun alles für ihre Unabhängigkeit und haben leider nicht gelernt, sich Hilfe zu holen und dies als verbindenden Reichtum in ihrem Leben zu spüren. Aber da müssen sie eben durch, wir Kinder können dies nicht aufhalten. Ich lerne grade, dies auszuhalten und den Raum dahinter irgendwie zu halten und alle Grenzen zu wahren und zu retten, wo Rettung gefragt ist.
Meine Mutter ist jetzt seit drei Wochen im Krankenhaus und mein Vater fragt sich jeden Tag, ob er sie für immer verliert. Sie sagte vor kurzem zu ihm: “Manfred es ist nicht ausgemacht, dass Du an meinem Grab stehst.“ Dieser Satz ermunterte ihn etwas.
Meine Mutter ist acht Jahre älter als er. Als er ihr auf ihre Nachfragen so ein bisschen seinen Alltag beschrieb, während sie im Krankenhaus liegt, wurde deutlich, dass er leicht mal etwas verschludert oder vergisst und er machte auch kein Hehl daraus.
Sie aber klatschte empört in die Hände und rief aus: „Mensch was sollen wir denn da erst machen, wenn ich mal in dein Alter komme.“
Das war dann sozusagen der Knüller der Woche und mein Bruder und ich lachten uns schlapp und sie beide lachten auch.
Wir wissen nicht, ob sie wieder Nachhause kommt…
Ihre Seele weiß nicht mehr so recht wofür…
Die Ehe alleine reicht nicht mehr aus…
Die Kinder sind auch kein Grund…
Wir Kinder erleben das Ende der Kraft und erkennen die Natürlichkeit darin, niemand nimmt es mehr persönlich, auch mein Vater akzeptiert die Begrenztheit vom Leben...
Vielleicht sind wir alle grade an einem Wendepunkt…
Mein Vater sagte kürzlich unter Tränen, und mir fiel auf, dass ich ihn noch nie hatte weinen sehen:
„Ich kann mir gar nicht vorstellen, an ihrem Grab zu stehen und andere wollen mir ihr Beileid aussprechen. Das halte ich doch gar nicht aus. Da will ich alleine sein.“
Wenn ich ehrlich bin, kann ich ihn sehr gut verstehen und das sagte ich ihm aus. Wir müssen alle nicht tun, was wir nicht wollen.
Und deshalb hatte ich vor kurzem diesen noch angehängten Text geschrieben:




Wenn Du stirbst…
Ich drehe Dir eine Honigkerze…
Ich suche Deine Fotos…
Ich finde Fotos mit Dir, Vater und mir…
Ich finde Fotos, auf denen Du mich anlächelst…
Ich erinnere mich an meine Liebe zu Dir…
Ich spüre etwas von der alten Liebe, von der Liebe, die alle Kinder    immer in sich tragen, auch wenn es schlimm wird im Leben…
Ich sehe Dein junges lachendes Gesicht und erinnere mich nicht daran, Dich in den letzten Monaten so lachen gesehen zu haben…
Welche Träume hattest Du im Leben?
Welcher Mut trieb Dich an?
Woran hast Du festgehalten?
Woran hältst Du jetzt noch fest?
In welchen Tiefen sitzt Deine Liebe?
Ich entzünde die Honigkerze…
Ich denke an Dich…
Ich weiß nicht, wie ich mich danach fühlen werde…wenn es vorbei ist…
Jetzt ziehen die Gewitter auf…grelle Blitze…im Herbst eher ungewöhnlich…
Dass Du stirbst, wie Du gelebt hast, immer kämpfen, immer Kontrolle, kein Vertrauen, keine Ruhe, kein Frieden…
Ich schaue in die Flamme und suche meinen Frieden…
Unseren Frieden erinnere ich…unsere langen Spaziergänge…unsere Liebe zur Kunst, Lesen, Bücher…
Ich schaue ins Licht der Kerze…
Ich schicke Dir Frieden, meinen Frieden schenke ich Dir…
Ich wünsche Dir Ruhe…
Ich wünsche Dir Schmerz frei…
Ich wünsche Dir Freiheit…mir auch…
Uns? Uns auch…
Die Honigkerze brennt weiter…im Licht ist Freiheit…
Vielleicht werfen wir deine Asche in den Wind und spüren auch da die Freiheit für Dich und uns…








8 Kommentare:

  1. wunderbar einfühlsam geschrieben,ich danke dir dafür.Ja so ist das Leben.Wünsche euch viel Kraft für deine Mama, aber wenn sie gehen möchte so soll sie auch dürfen. LG.Ilse aus Wien.

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    1. ja ich glaube genau dies ist jetzt die Weisheit:gehen lassen, wie sie es auswählt und das auch halten.Liebe Grüße aus Berlin zurück

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  2. danke. ich wünschte, meine eltern wären so miteinander umgegangen. nur ist mein vater schon ein halbes jahr tot und nichts kann mehr nachgeholt werden. ich lerne für mich.
    m.

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  3. schön beeindruckend und zugleich auch schmerzhaft aber so ist das Leben... ich verlor Kinder und meinen Ehemann ich habe dieses durch lebt .. verloren auch die Eltern aber nicht in diesen Gefühlswelt wie du es gerade bist und deine Familie. Abshcied nehmen und dabei sich nicht zu vergessen, das Leben so nehmen und damit zu leben wie du es machst ist toll und ich bin auch froh dass ich nicht kaputt gegangen bin und trotzdem mein Leben in die Hand genommen habe....
    Danke für dein Vertrauen das hier zu erzählen .. es berührt mich zu tiefst und im positivem!
    Ich wüsnche dir viele schöne Momente die du mit deiner Freundin und auch deiner Familie noch erleben kannst.

    Lieben Gruss Elke

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    1. LIebe Elke, Du hast ja schon einiges durch.
      Kinder und Ehemann verlieren, mein Mitgefühl auf diesem Weg.
      herzensgrüße aus Berlin nach Cuxhafen

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  4. Sehr anrührend....Meine Mutter lebt seit 8 Jahren alleine und ist zu ihrem und unser aller Glück sehr lebendig und beweglich. Auch ihre grosse Leidenschaft, das Reisen, kann sie noch ausüben. Aber die andere Seite lerne ich auch gerade kennen. Meine Schwiegermutter wird von Woche zu Woche hinfälliger. Noch bekommen wir sie mit Mühe ins Auto, der Zeitpunkt an dem das nicht mehr geht ist nah....Liebe Ute, ich wünsch Dir viel Energie in dieser Zeit.

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